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DFG-Forschergruppe 955

DFG-Forschergruppe "Akteure der kulturellen Globalisierung, 1860-1930"

 

Übersicht: Beteiligte Personen und Projekte

Projekt

Nr.

Projektleiter

Universität

Fach

   Projekttitel

 A

Prof. Dr. Andreas Eckert

Humboldt-Universität zu Berlin

Geschichte Afrikas

„Rassisten“ im Dienste der Emanzipation. Vordenker und Aktivisten des Anti-Rassismus als Akteure der Globalisierung um 1900

B – 1

Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott,

Prof. Dr. Sebastian Conrad

Freie Universität Berlin,

Europäisches Hochschulinstitut Florenz

Japanologie

Geschichte

Translating Asia: „Chinesisches Wissen“ in Japan, 1880-1914

B – 2

Prof. Dr. Harald Fischer-Tiné

International University Bremen

Geschichte Südasiens

Kulturelle Mediatoren zwischen Südasien und ‚dem Westen’:   Indische Mitglieder der Theosophical Society und der Austausch von Wissen (1879-1930)

C – 1

Prof. Dr.  M. Michaela Hampf

Prof. Dr. Ursula Lehmkuhl

Freie Universität Berlin

Geschichte Nordamerikas

Die transatlantische Telegrafenverbindung und die Verkabelung der Welt: Kulturelle Netzwerke und epistemische Gemeinschaften im maritimen Raum

C – 2

Prof. Dr. Natascha Gentz

(assoziiert)

University of Edinburgh

Sinologie

Auswirkungen globaler Studentenmigration auf Wissenstransfer und Elitenbildung in China, 1870 – 1930

C – 3

Prof. Dr. Stefan Rinke

Freie Universität Berlin

Geschichte Lateinamerikas

Fußballenthusiasmus: Die Anfänge des Fußballs in Lateinamerika als transnationales Phänomen --- Argentinien, Brasilien und Uruguay im Vergleich, 1867-1930

D – 1

Prof. Dr. Ulrich Mücke

Universität Hamburg

Geschichte Lateinamerikas

Städtische Arbeiterschaft als Träger der Globalisierung im Porfiriat, Mexiko 1876-1911

D – 2

Prof. Dr. Andreas Eckert

Humboldt-Universität zu Berlin

Geschichte Afrikas

Globalisierung der westlichen Zeitordnung? Arbeitszeit und Arbeitsdisziplin in Senegal, 1880-1940

 

Beschreibung des Projektes

Die historische Forschung zur Geschichte der Globalisierung hat sich, vor allem im Hinblick auf die Konjunktur globaler Interaktionen um 1900, bislang auf politische und weltwirtschaftliche Fragen konzentriert. Im Rahmen der Forschergruppe sollen hingegen kulturgeschichtliche Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen, ohne zugleich den Bezug zu politischen Prozessen und ökonomischen Strukturen aus dem Auge zu verlieren. Auf diese Weise soll ein komplexerer Beitrag zur Geschichte der Globalisierung geleistet werden. Dabei stehen soziale Akteure sowie außereuropäische Perspektiven im Vordergrund. Im Hintergrund steht die Frage, ob die unterschiedlichen Formen kultureller Aneignung einen Ausgangspunkt für die Herausbildung „multipler Modernen“ dargestellt haben könnten.

 

Im Einzelnen stehen folgende Fragen im Vordergrund

Wie sah die Logik der globalen Interaktion konkret aus? Welche Strategien der Aneignung und kulturellen Übernahme spielten dabei eine Rolle? Welche Bedeutung hatte die Diskussion über „West“ und „Ost“ für die Dynamik dieser Verflechtung?

In welchem Maße waren kulturelle Interaktionen mit der Herausbildung eines globalen Bewusstseins verbunden? Welche Rolle spielten weit entfernte Vorbilder oder Schreckensvisionen für die Reformdiskussion in den unterschiedlichen Gesellschaften? Wie weit reichten transnationale Öffentlichkeiten, und wo waren ihre Grenzen? Lässt sich die Entstehung regionaler Interaktionen und eines regionalen Bewusstseins (wie im Falle der Pan-Bewegungen) als Reaktion auf Globalisierungsvorgänge verstehen?

Welche Bedeutung hatte die Rhetorik der Zivilisierungsmission für die Globalisierung um 1900? Führte die Zunahme von Austauschbeziehungen zu einer kulturellen Homogenisierung – oder eher zur Profilierung von Unterschieden? Welche Logik der Differenz strukturierte die globale Verflechtung im späten 19. Jahrhundert?

Die drei leitenden und mit einander in Beziehung stehenden Forschungsfragen werden in allen Projekten aufgenommen; gleichwohl ist eine Schwerpunktsetzung und Clusterbildung beabsichtigt.

Quer zu diesen drei Forschungsfragen steht ein übergreifendes Anliegen der Forschergruppe:

Lässt sich eine Landkarte kultureller Verflechtungen im globalen Maßstab rekonstruieren, die der unterschiedlichen regionalen Dynamik Rechnung trägt? Welche Knotenpunkte, welche Hierarchien, welche Asymmetrien strukturierten Interaktionen im globalen Maßstab?

Die Forschergruppe will einen Beitrag zur Historisierung der Globalisierung leisten. Der Fokus auf der kulturgeschichtlichen Dimension der Austauschprozesse ermöglicht es, die Untersuchungen an die Frage nach der Pluralisierung von Modernisierungspfaden anzuknüpfen. Trug die Logik der kulturellen Verflechtung dazu bei, eine Welt der multiple modernities entstehen zu lassen, deren Dynamik auch die Gegenwart noch prägt?

Die Forschergruppe bringt Wissenschaftler unterschiedlicher disziplinärer und regionaler Spezialisierungen zusammen, die sich in ihrem theoretischen Ansatz sowohl von der nationalstaatlichen Perspektive als auch von Vorstellungen begrenzter (Kultur-)räume lösen. Stattdessen sollen exemplarisch Problemstellungen in den Mittelpunkt der Forschungsinteressen gerückt werden, die zwischen den Regionen, Kulturen, Nationen, Kontinenten (und auch akademischen Disziplinen) zu finden sind. Die einzelnen Forschungsvorhaben richten sich gleichwohl auf konkrete Gegenstände und Räume; die sprachlichen und kulturellen (häufig regionalwissenschaftlichen) Kompetenzen sind das Fundament der einzelnen Projekte.

In einer möglichen zweiten Projektphase soll eine stärkere Systematisierung von Akteursgruppen im Vordergrund stehen. Ein Fluchtpunkt dabei ist die Frage nach transnationalen sozialen Milieus, die als Trägergruppen der Prozesse kultureller Globalisierung eine Rolle gespielt haben. Auf dem Hintergrund der Ergebnisse der ersten Projektphase soll darüber hinaus eine Typologie unterschiedlicher Strategien und Mechanismen kultureller Transfers erarbeitet werden.

 

Problemstellung, Forschungsziele und -fragen

Die Geschichte der Globalisierung wird erst seit wenigen Jahren systematisch erforscht. Im Mittelpunkt stehen dabei in der Regel die ökonomischen und politischen Aspekte der Vernetzung der Welt. Hingegen sind die kultur- und sozialgeschichtlichen Dimensionen nur wenig in den Blick genommen worden – und wenn, dann häufig einseitig als Prozess der ‚Verwestlichung’. Was fehlt, ist eine intensive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Mechanismen, durch die transnationale Prozesse in den jeweiligen Kulturen angeeignet und übersetzt wurden – und mit der Frage, wie diese Formen der Aneignung wiederum auf jene transnationalen Prozesse zurückwirkten. Die Verflechtung der Welt hat keineswegs eine uniforme und homogene Welt hervorgebracht, sondern alternative kulturelle Ausprägungen moderner Gesellschaften entstehen lassen. Die Untersuchung der jeweils lokalen/ regionalen Modifikationen, Verschiebungen und Hybridformen im Kontext miteinander verflochtener Modernisierungsprozesse gehört zu den spannendsten Aufgaben, die sich eine empirisch grundierte Forschung der Geschichte der Globalisierung heute stellen kann.

Eine solche historische Perspektive verspricht, auch einen Beitrag zur gegenwärtigen Globalisierungsdiskussion zu leisten. Die enger werdende Verflechtung der Welt und die Zunahmen grenzüberschreitender Mobilität haben Wissenschaftler an vielen Orten dazu herausgefordert, vorherrschende Auffassungen von Modernität neu zu interpretieren. Diese Ansätze hinterfragen die Zentralität Europas und Amerikas für die Entstehung der modernen Welt, betonen Kräfte des Widerstands und autonome Formen der Entwicklung in Gesellschaft, die bislang in erster Linie als Objekte westlicher Modernisierung wahrgenommen wurden. Vor allem der Begriff der multiple modernities dient hier dazu, die Vielschichtigkeit kultureller Austauschprozesse systematisch zu fassen. Das Konzept ist als Kritik an der Vorstellung formuliert worden, dass das kulturelle Programm der Moderne, wie es in Europa entwickelt wurde, notwendigerweise auch in anderen modernisierenden Gesellschaften Bestand haben würde. Stattdessen betont es die Vielfalt der kulturellen Muster der Moderne. In diesem Modell wird die kulturelle Eigenständigkeit der außereuropäischen Welt ausdrücklich anerkannt; Modernität erscheint hier nicht ausschließlich als Produkt der Diffusion westlicher Ideen und Institutionen.

Das Konzept der multiple modernities suggeriert eine kulturelle Varianz des Globalisierungsprozesses. Um die Plausibilität und Erklärungskraft dieses Konzepts systematischer zu überprüfen, ist es notwendig, das Phänomen bis in das späte 19. Jahrhundert zurück zu verfolgen. Es ist inzwischen Konsens in der Forschung, dass die Zeit zwischen etwa 1860 und 1930 (mit einer Verdichtung in den Jahren zwischen 1880 und 1914) als eine frühere Hochphase der Vernetzung der Welt betrachtet werden kann. In dieser Phase haben sich grundlegende Muster der Interaktion herausgebildet, die zum Teil auch die Dynamik der heutigen Globalisierung noch bestimmen. Welche Formen der kulturellen Aneignung, der kulturellen Verflechtung spielten hier eine Rolle? Inwiefern waren sie Ausgangspunkt für Vorstellungen einer kulturellen Pluralisierung von Modernisierungsprozessen? Wie wurde Wissen übersetzt, angeeignet, modifiziert? Welche Begriffe wurden geschaffen, um andere Wissensordnungen zu appropriieren? Wie entstand Neues im Zuge der Interaktion und gegenseitigen Beeinflussung? Welche regionalen Vernetzungen spielten dabei eine Rolle? Wie waren kulturelle Austauschbeziehungen, ökonomische Strukturen und politische Macht miteinander verbunden?

Die Arbeit der Forschergruppe zielt darauf, die gegenwärtig hochaktuelle Frage nach der Pluralisierung der Moderne auf eine historische, empirisch abgesicherte Grundlage zu stellen. Sie ist auch als Beitrag zur Auseinandersetzung über den Dialog bzw. Kampf der Kulturen und über die Dynamik kultureller Verflechtung zu verstehen. Zugleich leistet die Forschergruppe einen Beitrag zur institutionellen Verzahnung von Fragestellungen, die üblicherweise getrennt von einander diskutiert werden. Die disziplinäre Arbeitsteilung zwischen ‚systematischen’ und ‚regionalwissenschaftlichen’ Fächern an deutschen und europäischen Universitäten vermag es nicht, den Verflechtungen von Gesellschaften und Kulturen in der heutigen Welt gerecht zu werden. Globale und lokale Veränderungen stellen die disziplinäre und nationale Ordnung des Wissens zunehmend in Frage. Die Forschergruppe will mit empirisch gesättigten, auf regionalwissenschaftlicher Kompetenz beruhenden Untersuchungen, die zugleich einer globalgeschichtlichen Perspektive verpflichtet sind, einen interdisziplinären Austausch befördern – über Fächergrenzen hinweg, die der sozialen Praxis in Zeiten der Globalisierung immer weniger gerecht werden.

 

Gegenstand und Fragestellungen

Diese Thematik soll anhand der Akteure der kulturellen Globalisierung untersucht werden. Im Vordergrund der einzelnen Projekte stehen daher die Akteure und Vermittler, die Makler der kulturellen Globalisierung um 1900: Experten und Wissenschaftler, Reisende, Lehrer und Übersetzer, Mediatoren des Wissens und kultureller Konzepte. Diese Schwerpunktsetzung erlaubt a) eine sozialgeschichtliche Einbettung der Transferprozesse: Soziale Herkunft, regionale und geschlechterspezifische Aspekte, die Rolle von Eliten, die Ökonomie des kulturellen Transfers sowie soziale Interessen spielen eine wichtige Rolle; b) darüber hinaus ist die institutionelle Verankerung von Transferprozessen eine ganz wichtige Dimension: Staatliche und private Delegationen und Gesandtschaften, internationale Kongresse, Verlage, aber auch Schulen, Akademien und Universitäten gehörten zu den institutionellen Strukturen, die kulturelle Interaktionen prägten; c) ein großer Teil der globalisierungshistorischen Literatur beschreibt vor allem Makrostrukturen und suggeriert so den Eindruck eines unaufhaltsamen, gleichermaßen naturgesetzlichen Prozesses. Die Projekte der Forschergruppe zielen hingegen auf die Verbindung einer akteurszentrierten Perspektive mit übergreifenden Strukturen. Auf diese Weise sollen die Widerstände, die Spielräume und Handlungsoptionen stärker in den Blick geraten.

 

Die Arbeit der Forschergruppe wird von drei sich ergänzenden und partiell überlagernden Fragestellungen geleitet:

Logik des Transfers: Wie sahen die Prozesse der Aneignung und kulturellen Übersetzung konkret aus? Lange Zeit sind kulturelle Interaktionen im 19. Jahrhundert in erster Linie als Diffusion westlicher Konzepte und Institutionen wahrgenommen worden. In diesem Paradigma des Einflusses erschienen kulturelle Transfers als Einbahnstraßen, und die vorherrschende Frage war die nach dem Verhältnis von bereits vorhandenen ‚Traditionen’ und importierter ‚Moderne’. Dabei ist in den Hintergrund geraten, dass sich zirkulierende Begriffe, Vorstellungen und kulturelle Güter nicht verpflanzen und transferieren lassen, als ob ihnen die Reise nichts antun könnte. Tatsächlich veränderten sich in Transferprozessen nicht nur die aufnehmende Gesellschaft, sondern auch die Gegenstände des Transfers selbst. In welchem Maße waren Strategien der kulturellen Aneignung mit Modifikationen und Transformationen verbunden, die auf die spezifischen Konstellationen der beteiligten Gesellschaften reagierten? Welche Formen der ‚Rückwirkungen’ ließen sich beobachten, welche Spuren haben globale Verflechtungen auch in den Herkunftsgesellschaften hinterlassen? Die Austauschbeziehungen prägten das Selbstverständnis moderner Metropolen ebenso wie das der sogenannten Peripherie, auch wenn die Art und Weise des Austauschs in hohem Maße asymmetrisch blieb. Kulturelle Transfers unter Bedingungen von Kolonialismus und Globalisierung waren keineswegs einseitige und auch nicht lediglich reziproke Beziehungen, sondern multidirektionale Prozesse. Welche Rolle spielten Mobilität und intellektuelle Flexibilität der beteiligten Akteure für die Dynamik der Aneignungsprozesse? Wie lassen sich transnationale Interaktionen jenseits der Dichotomie von Westen und „Rest“ beschreiben? Wie läßt sich die Logik kultureller Transfers im Spannungsfeld von lokaler Spezifik, regionalem Kontext und globalen Strukturen angemessen beschreiben?

Globales Bewusstsein: In welchem Maße waren kulturelle Interaktionen mit der Herausbildung eines globalen Bewusstseins verbunden? Die zunehmende Integration der Welt ermöglichte die Verbindung von Prozessen, die sich bis dahin hauptsächlich in regionalen Kontexten ereignet hatten. Soziale und politische Akteure bezogen sich immer häufiger auf vergleichbare Ereignisse in anderen Gesellschaften. Soziale Phänomene und vor allem wirtschaftliche Entwicklungen in anscheinend weit entfernten Gesellschaften wurden als Modelle und Maßstab herangezogen; gleichzeitig wuchs darüber hinaus das Bewusstsein, dass selbst entfernte Ereignisse Einfluss auf die eigene Gesellschaft entfalten würden. Selbst wenn die zunehmende Vernetzung der Welt nicht alle Gesellschaften und Menschen auf die gleiche Art einschloss, so hatte sie doch Auswirkungen auf Prozesse, die sich bis dahin in relativer Abgeschlossenheit vollzogen hatten.

Die Voraussetzung für ein Bewusstsein von transnationalen Zusammenhängen war die Zunahme grenzüberschreitender Austauschbeziehungen. Der Geograph David Harvey hat von der „Zeit-Raum-Kompression“ gesprochen, die am Ende des 19. Jahrhunderts den technologischen Wandel begleitete. Grundlage dafür war die Informationsrevolution seit den 1850er-Jahren. Das Dampfschiff, die Ausweitung der Postverbindungen und vor allem der Telegraph trugen zum Eindruck einer schrumpfenden Welt bei. Die technologischen Neuerungen waren ein wichtiger Faktor bei der Herausbildung von Öffentlichkeiten in Lateinamerika, Süd- und Ostasien oder dem Osmanischen Reich. Häufig griffen sie dabei auf bestehende Diskussionsforen und Teilöffentlichkeiten zurück. Aber vor allem in den urbanen Zentren und Hafenstädten bildeten sich rasch neue Formen der öffentlichen Kommunikation, häufig getragen von neu formierten metropolitanen Eliten, die sich über die neu entwickelten Bildungssysteme rekrutierten. Vor allem die Ausbreitung des Pressewesens und die entstehende Zeitungskultur trugen seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur raschen Verbreitung von Ideen bei. Inwiefern waren kulturelle Aneignungen von einem Bewusstsein globaler Strukturen und Zusammenhänge geprägt? Unterschied sich das Verständnis von „Welt“ an unterschiedlichen Orten? Welche Rolle spielten hier sich herausbildende transnationale Öffentlichkeiten? Wie weit reichten diese Interaktionszusammenhänge – und wohin nicht?

Homogenisierung und Fragmentierung: Führte die zunehmende globale Verflechtung zu einer Anpassung und kulturellen Homogenisierung der Welt, wie viele Zeitgenossen annahmen? Oder gingen Kontakte und Austauschbeziehungen mit der Herausbildung und Profilierung von Abgrenzungen einher? Was waren die Modi der Aushandlung kultureller Differenz im späten 19. Jahrhundert? „Broad forces of global change strengthened the appearance of difference between human communities”, so hat Chris Bayly in seinem globalgeschichtlichen Überblick diesen Prozess kürzlich zusammengefasst, „but those differences were increasingly expressed in similar ways” (Bayly 2004). Diese These könnte als Ausgangspunkt dienen, um die Mechanismen kultureller Aneignung innerhalb eines globalgeschichtlichen Paradigmas zu diskutieren. Welche Formen der Anpassung und Vereinheitlichung lassen sich beobachten, und in welchen Bereichen? Insbesondere seit Mitte des 19. Jahrhunderts bildete sich eine zunehmend standardisierte Ordnung der Dinge heraus, in der regionale und nationale Verschiedenheiten eingeebnet werden sollten. Die weltweite Diffusion universeller Normen spielte sich innerhalb höchst asymmetrischer Machtstrukturen ab. Die Mechanismen der Standardisierung bezogen sich zunächst auf Aspekte technologischer Entwicklung, aber auch die Sphäre der Kultur wurde von Prozessen der Angleichung erfasst, beispielsweise die Ausbreitung der Form des Romans. Standardisierungsprozesse sind jedoch nicht einfach mit „Verwestlichung“ gleichzusetzen; Strategien der Vereinheitlichung wurden auch in regionalen Kontexten verfolgt. Wie groß waren die Chancen auf Durchsetzung regionaler und kulturell spezifischer Normen und Standards? In welchem Maße waren Prozesse der Standardisierung wechselseitig aufeinander bezogen? Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Zentralisierung und Einebnung von Differenz einerseits, der Etablierung von Grenzen und Gegenstandards andererseits systematisch beschreiben?

 

Zusätzliche Fragestellung des Gesamtprojekts

Mapping der Globalisierung: Neben diesen drei leitenden Gesichtspunkten und Fragestellungen sollen die einzelnen Projekte auch Aussagen zu den räumlichen und kulturellen Unterschieden der Integration in den Globalisierungsprozess ermöglichen. Hier geht es einerseits um die sozialhistorischen bzw. territorialen Einheiten (und keineswegs nur um mental maps bzw. diskursive Raumbestimmungen), die im Zuge der Verflechtung der Welt für soziale Akteure handlungsrelevant wurden. Andererseits ist nach den Netzwerken zu fragen, die Handlungsträger in unterschiedlichen Kontexten miteinander verbanden.

Wie lassen sich die räumliche Ordnung und die asymmetrischen Strukturen dieser kulturellen Globalisierung situieren? Welche strukturellen Faktoren haben die Formen der transnationalen Interaktion am nachhaltigsten geprägt? Lässt sich eine Landkarte kultureller Verflechtungen im globalen Maßstab rekonstruieren, die der unterschiedlichen regionalen Dynamik Rechnung trägt? Der Begriff der Globalisierung darf nicht dazu führen, dass die ungleiche regionale Logik transnationaler Beziehungen aus dem Blick gerät. Welche „Löcher in den Netzen“ (Osterhammel) der Globalisierung waren um 1900 zu beobachten? Welche Interaktionszusammenhänge waren besonders dicht? Wo lassen sich Knotenpunkte regionaler und transkontinentaler Beziehungen verorten? In einer ersten typologischen Annäherung sind vor allem vier Dimensionen zu berücksichtigen:

(1) Welche Rolle spielten die Beziehungen außereuropäischer Regionen zum ‚Westen’? In welchen Fällen läßt sich innerhalb Europas, aber auch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten sinnvoll differenzieren? Wie hoch war der „Anpassungsdruck“ (Osterhammel), dem sich modernisierende Gesellschaften ausgesetzt sahen?

(2) Wie prägend war der Kontext des Kolonialismus für die Logik kultureller Interaktion? Wie groß waren die Unterschiede zwischen Gesellschaften, die vom Kolonialismus unterschiedlich betroffen waren – formal kolonisierte Gesellschaften in Afrika oder Indien; das semikoloniale China; das unter kolonialem Druck stehende Japan; formal unabhängige Staaten in Lateinamerika? Welche Rolle spielte umgekehrt die Form des Kolonialbesitzes? Oder lassen sich kulturelle Transformationen – etwa im Bereich der modernen Kunst – eher als Ausdruck einer allgemeinen ‚kolonialen Erfahrung’ deuten, die über Ländergrenzen hinweg alle westlichen Gesellschaften betraf?

(3) Wie lässt sich kultureller Austausch mit den Konjunkturen ökonomischer Verflechtung zusammendenken? In welchem Maße beeinflussten die Asymmetrien des Weltmarktes auch die grenzüberschreitende Aneignung kultureller Produktion? Welche Rolle spielten Märkte und die strukturellen Bedingungen des globalen Kapitalismus für die Wege des Transfers?

(4) Welche regionalen Bezüge blieben jenseits der Prozesse der ‚Verwestlichung’ wichtig? Oder entstanden neue Kontaktzonen, neue Formen sogenannter ‚Süd-Süd-Beziehungen’? Regionale Zusammenhänge behielten auch in Zeiten globaler Bezüge ihre Relevanz. Wie unterschieden sich, beispielsweise, die islamische Welt, Lateinamerika, Ostasien oder die Region des Indischen Ozeans im Hinblick auf die Mechanismen des Transfers, die Herausbildung überregionaler Öffentlichkeiten und die Herausbildung von Standardisierungen?