Springe direkt zu Inhalt

Gradutiertenschul-Antrag Interview

Glaube und Religion als öffentliche Angelegenheit

Studierende des JFKI auf Exkursion zum „buckle of the bible belt“

Hat Jesus mich gerettet? Selbst für gläubige und ihre Religion praktizierende Europäer wäre es ungewöhnlich, sich diese Frage mehrmals täglich zu stellen und immer emphatisch mit „JA“ zu beantworten – nicht so in den USA. Diese Erkenntnis – und viele andere mehr – haben 14 Studierende des JFKI auf einer Exkursion in die USA vom 3. bis zum 19. April gewinnen können.

Foto MegachurchDas Seminar „Die religiöse Rechte in den USA“ im WS 05/06 war für sie der Auftakt, um in Washington, D.C., und in Virginia der Theorie die Empirie folgen zu lassen. Die Exkursion wurde hauptsächlich durch Mittel des Transatlantikprogramms finanziert. Die JFKI-Gruppe interviewte in Washington leitende Vertreter von think tanks, advocacy groups und Medien am Schnittpunkt von Religion und Politik in den USA – wie z.B. Luis Lugo vom Pew Forum on Public Religion, Richard Cizik von der National Association of Evangelicals und Alan Cooperman, der über Fragen der Religion berichtende Journalist der Washington Post. Sie besuchten das von dem Fernsehprediger und ehemaligem Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei, Pat Robertson, gegründete Christian Broadcasting Network in Virginia Beach und waren bei der Aufzeichnung der täglichen Hauptsendung, des 700 Club, dabei. Die aus diesem christlichen Kabelfernsehsender hervorgegangene und den Fernsehstudios unmittelbar benachbarte Regent University beeindruckte als ein zügig wachsendes Projekt einer christlichen Universität – mit überdurchschnittlichem Erfolg, kein Wunder, insbesondere auf dem Gebiet der praxisnahen medienwissenschaftlichen Ausbildung.

Den intensivsten Teil der Exkursionserfahrung bildeten die zwei je fünftägigen Aufenthalte in amerikanischen Kirchengemeinden unmittelbar vor und in der Osterzeit. In der Zufallsauswahl von fast 30 Kirchengemeinden war, über die vier Städte Charlottesville, Lexington, Lynchburg und Roanoke verteilt, die ganze Bandbreite von liberalen mainline denominations bis zu konservativen Baptisten, wie etwa Jerry Falwells Thomas Road Baptist Megachurch in Lynchburg, vertreten. Gegen den europäischen Erfahrungshintergrund stachen besonders die charismatischen, enthusiastischen Gemeinden ab, die neben der Katholischen Kirche (bedingt durch die große Zahl von zuwandernden Hispanics) die heute am schnellsten wachsende Form amerikanischer Religion bilden. Ihre direkte Kommunikation mit Gott bzw. dem Heiligen Geist, das öffentliche Bekenntnis des Einzelnen und seiner ganz persönlichen Erfahrung der Erwähltheit durch Gott (zentral: durch das Wiedergeborenwerden) treten hier in eine sehr ungewohnte Verbindung mit der Bewältigung praktischer Lebensaufgaben (Christian Weight Loss Programs sind etwas ganz Selbstverständliches), mit Motivationstraining und einem sehr dichten Gemeindeleben. In diesem kann das caretaking, die praktizierte Nächstenliebe, durchaus wichtiger sein als dem Buchstaben der Bibel oder anderen Autoritäten und Regeln getreu zu folgen. Am Grund der amerikanischen „public religion“ liegt die Überzeugung, dass die persönliche Kommunikation mit Gott ohne Scheu mit anderen geteilt werden kann. Die Frage, ob Jesus mich persönlich gerettet hat, trifft dann auf keine oder nur sehr wenige Vorbehalte.

Foto Gespräch Cizik

Religionsausübung, wie sie Europäer kaum kennen: Die First Baptist Megachurch in Roanoke (Foto oben). Die JKFI-Gruppe interwiewte bei Ihrer Exkursion unter anderem Richard Cizik von der National Association of Evangelicals (unten).

Die Exkursiongruppe wird ihre Erfahrungen aufbereiten. Es sind eine Präsentation der Ergebnisse am JFKI (nicht zuletzt für diejenigen, die nicht mitkommen konnten) am 13. Juli, eine Ausstellung, die Einblicke in die umfangreiche fotografische Dokumentation geben soll, und eine Materialiensammlung auf DVD geplant.

Im Mai 2007 wird es einen Gegenbesuch geben: Eine Gruppe von Studierenden der Washington and Lee University, Lexington, wird Berlin und Brandenburg besuchen und sich ein Bild vom religiösen Leben in Deutschland machen.

(Prof. Harald Wenzel)