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Teilprojekt C1 - "Die Verkabelung der Welt"

 

Die transatlantische Telegrafenverbindung und die Verkabelung der Welt: Kulturelle Netzwerke und epistemische Gemeinschaften im maritimen Raum

 

atlantic cable

Quelle: Frank Leslie's Illustrated Newspaper, August 21, 1858

 

DFG Forschergruppe 955: Akteure der kulturellen Globalisierung, 1860-1930

Teilprojekt C1: Die transatlantische Telegrafenverbindung und die Verkabelung der Welt: Kulturelle Netzwerke und epistemische Gemeinschaften im maritimen Raum

Projektleitung: Prof. Dr. M. Michaela Hampf und Prof. Dr. Ursula Lehmkuhl

Mitarbeiterin: Simone Müller, M. A.

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Laufzeit: 01.06.2008 — 01.05.2011                                  

                                                

Kurzzusammenfassung

Das Projekt untersucht anhand der ab 1866 etablierten transatlantischen Telegrafenverbindung die Entwicklung eines regionalen maritimen Raums zu einer globalen medialen Landschaft. Diese erste transozeanische Verbindung durch ein unterseeisches Kabel kann als Ausgangspunkt für die „Verkabelung der Welt" und die Entstehung globaler Kommunikationsräume im Zeitraum bis 1902 angesehen werden. Die Verlegung dieser submarinen Telegrafenkabel im Zeitraum 1857 bis 1902 wurde von einem britisch-amerikanisch-europäischen Netzwerk von Erfindern, Ingenieuren und Finanziers getragen und realisiert. Wie diese spezifische Gruppe von Akteuren kultureller Globalisierung zusammenwirkte, was sie zu dieser enormen technischen und finanziellen Anstrengung motivierte und welche politisch-kulturellen Ziele sie mit den Kabelprojekten verfolgten, soll im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Netzwerkanalyse eruiert werden. Die Untersuchung trägt damit zu einer sozialen und politischen Differenzierung der Geschichte eines sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierenden globalen Bewusstseins bei.

 

Beschreibung des Projektes

Im Zuge der mit der Erfindung der Telegrafie ausgelösten zweiten Medienrevolution (nach der Erfindung des Buchdrucks) konstituierte sich ausgehend vom Atlantik ein durch die spezifische Vermittlungstechnologie der Telegrafie geprägter globaler Kommunikationsraum. Die ingenieurwissenschaftliche Leistung der Verlegung submariner Telegrafenkabel im Zeitraum 1857 bis 1902, durch die regionale maritime Räume zu globalen medialen Landschaften transformiert wurden, war insofern eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung eines globalen Bewusstseins und transnationaler Öffentlichkeiten in der ersten modernen Hochphase der Globalisierung. Das Projekt analysiert diesen Transformationsprozess, indem es die Akteure, die diese technischen Großprojekte getragen und realisiert haben, als Akteure der kulturellen Globalisierung in den Blick nimmt.

Während auf der wirtschaftlich-politischen Ebene kommerzielle Interessen zunächst eine Hauptrolle spielten, bevor die bald globalen Telegrafennetze vornehmlich von imperialen und nationalen strategischen Interessen getragen wurden, bildeten gleichzeitig Wissenschaftler, Erfinder, Journalisten, Bankiers, Philanthropen und Politiker transnationale Netzwerke, die das neue Kommunikationsmedium im Sinne von Fortschritt, Wachstum und Wohlstand begrüßten. “Men of Science” wie Joseph Henry, der Ozeanograf Matthew Fontaine Maury, der Physiker Alexander Dallas Bache unterstützten die Kabelprojekte enthusiastisch. Börsenmakler, Reeder und andere Geschäftsleute, Journalisten und Diplomaten profitierten in erster Linie von der Telegrafentechnologie. Durch diese Netzwerke aus unterschiedlich strukturierten, aber dennoch interdependenten epistemischen Gemeinschaften wurden unterschiedliche Ebenen transnationaler Austauschprozesse – kulturelle Beziehungen, ökonomische Strukturen und politische Macht – miteinander vernetzt und es entwickelte sich eine für den Prozess der kulturellen Globalisierung nicht zu unterschätzende Dynamik. Als ein Beispiel sei hier nur Samuel Morse genannt, der, bevor er als einer der Erfinder des elektrischen Telegrafen in Erscheinung trat, Maler war und bildende Kunst und Bildhauerei lehrte. Morse hatte in England studiert und blieb zeitlebens ein aufmerksamer Beobachter britischer, amerikanischer und europäischer Kunst und Politik. Er portraitierte Marquis de Lafayette, korrespondierte mit Louis Jacques Mandé Daguerre über fotografische Experimente und hielt engen Kontakt mit Abolitionisten wie James Fenimore Cooper, Thomas Smith Grimké, and William Wilberforce. Die euro-amerikanischen Akteure der kulturellen Globalisierung verfolgten eine Vielzahl von Interessen, darunter das kosmopolitische Ziel, die globale Kommunikation zu verbessern und damit einen Beitrag zur Zivilisierung der Welt und letztlich zur Sicherung des Weltfriedens zu leisten.

Epistemische Gemeinschaften, hier operationalisiert als Mehrfachmitgliedschaften in für die Entwicklung der Telegrafennetze einschlägigen professionellen und wissenschaftlichen Vereinigungen, sind eine den sozialen Netzwerken verwandte Form, die durch starke kognitive und normative Bindungen zusammengehalten werden. Netzwerke hingegen beruhen auf heterogenen und in der Regel informellen Bindungen. Epistemische Gemeinschaften verdanken ihre Globalisierungswirkung der Tatsache, dass die kognitiven und normativen Bindungen, auf denen sie beruhen, sich immer auf eine Sache und einen dieser Sache zugeordneten Wissensbestand beziehen. Dies gilt besonders für wissenschaftliche und professionelle Gemeinschaften. Die jeweiligen Wissensbestände ließen nationale, regionale oder lokale Einschränkungen ihrer sozialen Bedeutsamkeit als unbegründet erscheinen, so dass sich die globale Einbeziehung kompetenter Interessenten in diese Gemeinschaften gleichsam von selbst ergab. Es ist deshalb weniger danach zu fragen, wie das Netz unterschiedlicher epistemischer Gemeinschaften entstanden ist und welche Widerstände ggf. zu überwinden waren als vielmehr danach, warum diese spezifische Gruppe von Akteuren kultureller Globalisierung die "Verkabelung der Welt" zu ihrem Ziel erklärten, was sie zu dieser enormen technischen und finanziellen Anstrengung motivierte und welche politisch-kulturellen Ziele sie mit den Kabelprojekten verfolgten.

Diese und ähnliche Fragen sollen im Rahmen dieses Teilprojektes geklärt werden, um einen Beitrag zur Erklärung der ideell-normativen Grundlagen des von einem euro-atlantischen Kern ausgehenden Prozesses der Internationalisierung und Standardisierung technischer und sozialer Normen zu leisten. Darüber hinaus sollen die kognitiven und normativen Bindungen der transnationalen „Kabel-Gemeinschaften“ eruiert werden sowie ihre kulturell-normativen Schubkräfte und ihr Beitrag zu einem sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierenden globalen Bewusstsein untersucht werden.

 

Problemstellung, Forschungsfragen und -ziele

Die kulturelle Globalisierung, die wir am Ende des 19. Jahrhunderts beobachten können, ist ursächlich verbunden mit dem Entwicklungsschub, den insbesondere die Natur- und Technikwissenschaften im 19. Jahrhundert erfuhren. Das 19. Jahrhundert ist nicht nur das Jahrhundert der ersten Globalisierungswelle der Moderne, sondern muss auch als das Jahrhundert der Wissenschaft bezeichnet werden. Die enorme wissenschaftlich-technologische Entwicklung war maßgeblich getragen und initiiert durch die Erfindung der Elektrizität. Die Entdeckung des engen Zusammenhangs und des Zusammenwirkens von Elektrizität und Magnetismus läutete schließlich mit der darauf basierenden Telegrafentechnologie die Kommunikationsrevolution ein, die im Hinblick auf ihre historische Bedeutung mit der Erfindung der Buchpresse gleichgesetzt werden kann. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Kommunikationsrevolution war die nicht zuletzt mit Hilfe der Telegrafie ermöglichte Verbreitung von normiertem und standardisiertem Wissen, die in der Gründung einer Fülle von neuen internationalen Organisationen, Vereinen und Assoziationen mündete. Beispiele hierfür sind Körperschaften wie der 1865 gegründete Welttelegraphenverein (UIT) und der Weltpostverein (UPU) von 1874, die die weltweite Standardisierung technischer Normen vorantrieben.

Bis zur Inbetriebnahme der ersten längeren Telegrafenstrecke zwischen Washington, D.C. und Baltimore, Maryland im Jahre 1844 (die erste längere Strecke in Europa wurde 1847 zwischen Bremen und Bremerhaven in Betrieb genommen) bedurfte es nicht nur der Entdeckung der elektromagnetischen Induktion durch Michael Faraday im Jahre 1832, sondern auch der Erfindung des Schreibtelegrafen durch Samuel Morse 1837/1844. Mit der Verlegung von Seekabeln wurde 1850 (Dover-Calais) begonnen, nachdem Werner von Siemens mit der Erfindung der Guttaperchapresse im Jahr 1847 das Problem der Kabelisolierung gelöst hatte.

Die Entstehung globaler Kommunikationsräume im Zuge der zweiten Medienrevolution war in vielerlei Hinsicht das Resultat der sich verdichtenden kulturellen, ökonomischen und politischen Austauschprozesse, zunächst und insbesondere zwischen Großbritannien und den USA, aber auch zwischen Frankreich und den USA. Diese Austauschprozesse fanden in wissenschaftlichen, intellektuellen, wirtschaftlichen oder kulturellen Netzwerken wie etwa der Royal Society, der American Association for the Advancement of Science (AAAS) oder der Smithsonian Institution statt oder in Gestalt einschlägiger Publikationen etwa in den Philosophical Transactions oder Science.

Unternehmerische Interessen spielten schon eine Rolle, bevor es den Ingenieuren tatsächlich gelungen war, zuverlässige Seekabel herzustellen und zu verlegen. Kabelhersteller wie R.S. Newall & Co. und Kuper & Co., Hersteller von Telegrafen wie W.T. Henley und Siemens & Halske und Firmen wie Glass Elliot & Co. setzten früh auf die neue Technologie. Die Herstellung, Verlegung und der Betrieb von transozeanischen Telegrafenkabeln erforderte a) erhebliche Investitionen, b) Märkte und Abnehmer und c) diplomatische und ggf. militärische Unterstützung durch Regierungen, etwa in Form von Landrechten und der Kartierung des Meeresbodens, wie sie etwa die Royal Navy durchführte.

Regierungen, allen voran die britische, die besonders dringend an einer Kabelverbindung nach Indien interessiert war, und die französische, die mit den kolonialen Besitzungen in Algerien kommunizieren musste, vergaben ab den 1850er-Jahren Aufträge in erheblichem Umfang für unterseeische Kabel, deren erste Generation aber zu wenig ausgereift war, um den Belastungen stand zu halten. Nachdem eine Verbindung durch das Rote Meer spektakulär und kostspielig gescheitert war, verlegte England sich hier zunächst wieder auf die ältere, und weniger sichere Technologie der Überlandleitungen.

Die Interessen unternehmerischer Akteure wie des Amerikaners Cyrus W. Field richteten sich dagegen weniger auf die Kolonien als vielmehr auf den Nordatlantik als transnationalen Markt. Bereits 1865 startete die Russian-American Telegraph Expedition, die unter der Leitung der Smithsonian Institution und der Chicago Academy of Sciences die Möglichkeiten eruieren sollte, ein Kabel über Alaska (Russian-America) durch die Bering-Strasse nach Asien zu verlegen. Im selben Jahr sicherte sich Field die Unterstützung der englischen Ingenieure Jacob Brett, der mit seinem Bruder das erste Kabel durch den Ärmelkanal verlegt hatte, Charles Tilson Brights und verschiedener Investoren, mit denen er die Atlantic Telegraph Company gründete. Sie gewannen die London Gutta Percha Company für die Isolierung, Glass Elliot und R.S. Newall für die Armierung und Glass Elliot für die Verlegung des Kabels. Nachdem ein erster Versuch gescheitert war, bot die Fertigstellung des zweiten Kabels im darauf folgenden Jahr Anlass zu transatlantischer Euphorie und überschwänglichen Grußdressen zwischen Königin Victoria und US-Präsident James Buchanan. Die Übertragung von Buchanans kurzer Botschaft dauerte allerdings 16 Stunden und fünf Wochen später brach die Leitung vollständig zusammen. Nach diesem spektakulären Scheitern berief die britische Regierung ein Joint Committee on Submarine Telegraph Cables ein, das aus Vertretern der Atlantic Telegraph Company unddes Board of Trade bestand. Wissenschaftler und Ingenieure wie William Thompson (der spätere Lord Kelvin) wurden hinzugezogen, um die Kabeltechnologie zuverlässiger zu machen.

Die transatlantische Zusammenarbeit kam während des amerikanischen Bürgerkriegs fast vollständig zum Erliegen, denn britische Investoren waren nicht geneigt, ihr Kapital in eine ungewisse Zukunft zu investieren. Sobald aber klar wurde, dass der Norden den Sieg davon tragen würde (und künftig die Produkte des Südens an der New Yorker Börse gehandelt werden würden), investierte der Baumwollmagnat John Pender aus Manchester sein Vermögen in die Telegrafie. Den wissenschaftlichen Ergebnissen der Briten entsprechend konnte nun die Telegraph Construction and Maintenance (TC&M), die erste horizontal voll integrierte Kabelfirma, erfolgreich zuverlässige Kabel herstellen, verlegen und betreiben. TC&M charterte in den Jahren 1865 und 1866 die Great Eastern, einen ehemaligen Passagierdampfer und das größte bisher gebaute Schiff überhaupt. Nach einem Fehlversuch gelang es Pender inzwischen in Anglo-American Telegraph Company umbenannter Firma 1866 schließlich das erste funktionierende Transatlantikkabel zu verlegen, mit dem sie für über zwanzig Jahre die Fernverbindungen auf dem wichtigsten Telekommunikationsmarkt dominieren sollte. 

Mit der globalen Nutzung der Telegrafie gingen einschneidende Veränderungen in der Verbreitung und Nutzung von Informationen einher. Die Nutznießer der neuen Kommunikationsnetzwerke waren vor allem a) Presse und Nachrichtenagenturen, b) Handel und Schifffahrt und c) Regierungen. Die Öffentlichkeit spielte kaum eine Rolle, solange der Überseeversand von Telegrammen eine äußerst kostspielige Sache war. Für Julius Reuter und seine Nachrichtenagentur waren zeitnahe Informationen so wichtig, dass er 1866 sogar selbst ein Kabel zwischen Lowestoft (Suffolk) und der Insel Norderney verlegen ließ und drei Jahre später in ein Kabel von Frankreich in die USA investierte. Auch seine Konkurrenten Charles Havas aus Paris, Bernhard Wolff aus Berlin und die Associated Press aus New York interessierten sich für das Medium, wenn auch in geringerem Umfang.

Reedereien bot die Telegrafie die Möglichkeit mit Fracht- und Personenschiffen in Kontakt zu bleiben. Sobald ein Schiff in einen Hafen mit Telegrafenstation eingelaufen war, konnte es abhängig von aktuellen Preisen und Buchungen neue Order empfangen und so weit effizienter operieren.

Regierungen schließlich hatten aus administrativen, diplomatischen und militärischen Gründen Interesse an der Telegrafie. Dies war in Krisenzeiten besonders wichtig und stand in proportionalem Verhältnis zu den kolonialen Besitzungen eines Landes, seiner Handels- und Kriegsmarine sowie der jeweils aktuellen Wahrscheinlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen. Viele der Kabel außerhalb des Nordatlantik und des Mittelmeer hatten stärker strategischen als kommerziellen Wert und stellten in Kriegszeiten mächtige Waffen dar.

Die Anglo-American Telegraph Company konnte dank ihrer marktbeherrschenden Stellung auf dem Nordatlantik (noch 1904 kontrollierten sie sieben der mittlerweile 13 Transatlantikkabel) die Konkurrenz in ein Preiskartell zwingen (joint purse), wurde aber dennoch durch das wachsende Handelsvolumen, durch europäische Migration nach Kanada und in die USA und durch die steigende Zahl von Nachrichtenagenturen zunehmend herausgefordert. 1869 gründeten etwa der französische Financier Baron Émile d’Erlanger zusammen mit Julius Reuter die Société du Câble Transatlantique Française und ließ ein Kabel von Brest in der Bretagne nach St. Pierre, einer französischen Insel vor Newfoundland und von dort nach Duxbury, Massachusetts legen. 1881 ließ die Western Union, die bereits ein Netzwerk auf dem amerikanischen Kontinent besaß, durch Siemens Brothers ein weiteres Kabel verlegen und traf Absprachen mit Anglo-American. Der Minen- und Eisenbahntycoon John W. Mackay, der die Postal Telegraph Company, eine Konkurrentin der Western Union kontrollierte, gründete mit Gordon Bennett, dem Herausgeber des New York Herald, die Commercial Cable Company, ließ 1883 auch durch Siemens ein Kabel legen, und trat mit einer weiteren französischen Firma, der Compagnie Française du Télégraphe Paris à New York in einen kurzen Preiskrieg zwischen den zwei Kartellen ein. Ab 1887 leitete Commercial Cable die Hälfte aller Transatlantiktelegramme durch seine Kabel, so dass von einem Duopol gesprochen werden kann.

Newcomer Deutschland betrat den nordatlantischen Schauplatz ab 1890. Sowohl das vergrößerte Handelsvolumen mit den USA, als auch verstärkte Emigration erhöhten den Kommunikationsbedarf, und mittlerweile wurden im Deutschen Reich auch Kabel zu konkurrenzfähigen Preisen produziert. Die Vereinigte Deutsche Telegraphengesellschaft verlegte nach einem ersten Umweg über englische Überlandkabel eine transatlantische Verbindung zwischen Greetsiel und Valentia in Irland, wo es 1882 an dasjenige der Anglo-American anschloss. Gegen Ende des Jahrhunderts reichte diese kommerzielle Verbindung nicht mehr aus und deutsche Industrielle und Regierung beauftragten die aus den Kabelwerken Felten & Guilleaume Carlswerk AG und dem Schaffhausen’schen Bankverein gebildete See-Telegraphengesellschaft ein Kabel von Emden nach New York zu verlegen. Die britische Regierung verweigerte jedoch die Erlaubnis, Relaisstationen in Cornwall und auf den Azoren zu errichten. Wirtschaftliche Zusammenarbeit war der politischen Rivalität gewichen. Aus stärker strategischen als kommerziellen Erwägungen versuchte die deutsche Regierung nun, eine Kabelverbindung nach Nordamerika herzustellen und dabei britischen Boden ganz zu umgehen. Dies gelang schließlich in den Jahren 1900 und 1902 als die Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft und die Norddeutschen Seekabelwerke, eine Tochterfirma von Felten & Guilleaume, zwei Kabel nach New York in Betrieb nehmen konnten.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts verschob sich die Akteurskonstellation auf dem Nordatlantik: Aus dem Monopol der Anglo-American Telegraph Company wurde ein Kartell, dann ein Duopol und schließlich ein Oligopol mit Konkurrenten aus den Vereinigten Staaten, Frankreich und Deutschland. Der Einfluss britischer Firmen schwand jedoch nur auf dem Gebiet des Nordatlantiks, den man zunehmend den Amerikanern überließ. In anderen Gebieten konnte Großbritannien seinen Vorsprung halten und sogar ausbauen indem es sich stärker imperialen als kommerziellen Interessen widmete. Auch die im Osten den Markt beherrschende Gesellschaft Eastern and Associated Telegraph Companies gehörte zu John Pender, der sich, nachdem er im nordatlantischen Raum ein Vermögen erwirtschaftet hatte, nun dem anderen großen Projekt der Briten zuwandte: der Verbindung nach Indien. Nach der Verstaatlichung des innerstaatlichen Telegrafennetzes konnte eine Reihe von Geldgebern ihr nunmehr flüssiges Kapital in Penders neue Unternehmungen investieren. Zwischen 1868 und 1870 wurde eine Reihe neuer Telegrafiegesellschaften gegründet, die England mit Gibraltar, Malta, Alexandria, Suez und schließlich mit Bombay verbinden sollte. Nachdem die Kabel gelegt und das Risiko verteilt worden war, fusionierten die Firmen zur Eastern Telegraph Company. Zeitgleich wurde an einem weiteren Kabelnetz im Fernen Osten gebaut. 1869-70 wurden die British Indian Extension Telegraph Company (Madras nach Singapur), die China Submarine Telegraph Company (Singapur nach Hong Kong), und die British Australian Telegraph Company (Singapur nach Darwin) gegründet, die sich schließlich zur Eastern Extension Australasia and China Telegraph Company verbanden.

Alle diese Konglomerate waren ihrerseits personell durch ein engmaschiges Netzwerk sowohl miteinander als auch mit der britischen Regierung verbunden, von denen sie etwa in Form von ozeanografischen Studien oder diplomatischer Unterstützung profitierten. Im Gegenzug wurden Mitglieder der betroffenen Kolonialverwaltungen großzügig mit Direktorenposten der Telegrafiegesellschaften bedacht.

Die Akteure, die die Verkabelung des Nordatlantiks vorantrieben, legten also die Grundlage für die Entstehung eines tatsächlich globalen Kommunikationsnetzes. Ab 1870 traten in London kommerzielle Interessen hinter strategische Interessen des Empire zurück. Die Fertigstellung des letzten Gliedes, des Transpazifikkabels, wurde von der kanadischen Regierung, namentlich durch den gebürtigen Schotten Sandford Fleming, wie auch von den kolonialen Selbstverwaltungen Australiens und Neuseelands über zwanzig Jahre hinweg aktiv betrieben. Die Unterstützung der britischen Regierung und der Admiralität konnte aber erst zur Jahrhundertwende gesichert werden, als imperiale und nationale sowie kommerzielle und politische Interessen zeitweilig zusammenfielen. 1879 bis1902 bildeten die Regierungen von Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland das Pacific Cable Board um ein transpazifisches Kabel zu verlegen. An die Seite des imperialen Traums von der Welt umspannenden „all-red route“ traten die Interessen des Dominion und der Kolonien, in Konkurrenz zu US-amerikanischen und französischen Unternehmungen ein pazifisches Telegrafenkabel zur Verbesserung der Kommunikation im Empire/ Commonwealth zu verlegen. Die mediale Durchdringung des atlantischen Raums mit Großbritannien als zentraler Kommunikationsmacht diente somit auch den kolonialen Interessen der beteiligten Akteure, womit ein drittes zentrales Charakteristikum des 19. Jahrhunderts angesprochen wird. Das 19. Jahrhundert war nicht nur das Jahrhundert der Wissenschaft, sondern auch das Jahrhundert des Nationalismus. Die Formierung und die Funktionsweise transnationaler epistemischer Gemeinschaften erlauben deshalb auch eine exemplarische Analyse der für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen Dialektik von Nationalismus und bürgerlichem Internationalismus. Das damit umrissene weltanschauliche Spannungsfeld bildet exemplarisch einen möglichen ideologischen Widerspruch ab, mit dem vor allem die aus dem euro-atlantischen Raum stammenden Akteure der kulturellen Globalisierung umgehen mussten.

Ausgehend von dem skizzierten Problemhorizont und dem euro-atlantischen Kern und ideellem Selbstverständnis der die „Verkabelung der Welt" betreibenden Akteure, den die atlantischen „Weltprojektmacher“ (Markus Krajewski) ebenso selbstverständlich wie unreflektiert zugrunde legten, untersucht das Teilprojekt das atlantische Telegrafenkabelprojekt als Nukleus der Entstehung globaler Kommunikationsräume in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In einer später zu beantragenden zweiten Förderphase soll darauf aufbauend die Telegrafenkabel im Persischen Golf (1860), das Mittelmeerkabel von Malta nach Alexandria (1868) und das Pazifikkabel (1879-1902) untersucht werden.

 

Dabei verfolgt das Projekt drei Ziele

(1) Analyse des Transformationsprozesses, durch den regionale maritime Räume zu globalen medialen Landschaften wurden. Hierzu sollen die "Kabel-Netzwerke“, die diesen Transformationsprozess erst ermöglichten, und die sie konstituierenden Akteure rekonstruiert werden.

  • o       Wer waren die Akteure, die die submarinen Kabelprojekte durchführten?
  • o       Inwieweit hingen die genannten Projekte personell, kulturell, ökonomisch und politisch zusammen?
  • o       Wer finanzierte die Verlegung der submarinen Kabel und was waren die Motive der Financiers?
  • o       Gab es konkurrierende Projekte und wenn ja, welche Ziele verfolgten die Konkurrenten?
  • o       Welche Bedeutung hatte der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensivierende technologische und wissenschaftliche Austausch zwischen der neuen und der alten Welt auf die kommunikationstechnische Globalisierung, die sich mittels der submarinen Telegrafenkabel im gleichen Zeitraum vollzog?

(2) Analyse der kognitiven und normativen Grundlagen der im Rahmen des Projekts als „epistemic communities" charakterisierten „Kabel-Gemeinschaften“.

  • o       Auf der Grundlage welcher Wissensbestände arbeiteten die sich zu epistemischen Gemeinschaften verdichtenden „Kabel-Protagonisten“?
  • o       Woher kamen diese Wissensbestände und wie wurden sie kommuniziert?
  • o       Welche Bedeutung hatten die verschiedenen submarinen Verlege-Experimente für die Weiterentwicklung technischer Normen und Standards?
  • o       Und wie schließlich trug das Medium Telegrafie selbst dazu bei, Normierungs- und Standardisierungsprozesse zu befördern?

(3) Untersuchung der philosophisch-politischen und weltanschaulich-ideologischen Standpunkte der Mitglieder der „Kabel-Gemeinschaften“.

  • o       Was waren die Motivationen der Akteure jenseits des „imperialen Projekts“?
  • o       Was bewog sie, ihren Handlungsraum zumindest potentiell auf die ganze Welt auszuweiten und wie sahen ihre Visionen dieser durch Kommunikationsnetzwerke ermöglichten Weltzusammenhänge aus?
  • o       Wie gingen die „Kabel-Akteure“ mit der für das 19. Jahrhundert als ,Jahrhundert des Nationalismus’ typischen ideologischen Spannung zwischen Patriotismus und Kosmopolitismus um?
  • o       Welche Spielarten des bürgerlichen Kosmopolitismus entwickelten sich in den frühen epistemischen Gemeinschaften?