Lora Viola about Trumps Covid-19 infection (Reuters)
News from Oct 05, 2020
Reuters - Refinitiv
INTERVIEW-Expertin - Trumps Corona-Infektion macht US-Wahlkampf noch chaotischer - Reuters News
- FU-Professorin: Unsicherheit nimmt zu
- Risiken vor allem, falls Trump sterben sollte
- von Christian Rüttger
Berlin, 02. Okt (Reuters) - Einen Monat vor der US-Präsidentenwahl hat das turbulente Rennen um das Weiße Haus mit dem positiven Corona-Testergebnis von Amtsinhaber Donald Trump noch einmal erheblich an Dramatik zugelegt. "Wir hatten schon ohnehin einen chaotischen Wahlkampf gehabt - und jetzt ist er noch chaotischer geworden", sagte Politik-Professorin Lora Anne Viola von der Freien Universität (FU) Berlin am Freitag im Reuters-Interview. "Die Unsicherheit nimmt zu." Nach Angaben seiner Ärzte geht es Trump zwar aktuell gut. Aber zum einen könnte sich das angesichts der mehrtägigen Inkubationszeit noch ändern. Zum anderen hat sich der Präsident in Quarantäne begeben, was bereits Folgen für den Ablauf der letzten viereinhalb Wochen vor dem Wahltermin am 3. November haben dürfte. "Vieles ist unklar", sagte Viola.
So stehen zum Beispiel am 15. und 22. Oktober zwei weitere TV-Duelle zwischen Trump und dessen Herausforderer Joe Biden an. In der Regel werden diese von einem Millionenpublikum verfolgt, und die Kandidaten hoffen, damit insbesondere noch unentschiedene Wähler von sich zu überzeugen. Ob die Debatten jedoch stattfinden können, ist nun ungewiss. Ferner wird Trump zumindest für einige Zeit auf die von ihm geliebten Wahlkampfauftritte live vor Tausenden Anhängern verzichten müssen. "Seine Strategie stellt das erheblich auf den Kopf", sagte Viola, die am John-F.-Kennedy-Institut der FU lehrt. Eine geplante Reise in den besonders umkämpften Bundesstaat Florida wurde am Freitag bereits vom Tagesplan des Präsidenten gestrichen.
WAS PASSIERT, WENN TRUMP STIRBT?
Richtig kompliziert könnte es aber werden, sollte der 74-Jährige, der allein aufgrund seines Alters zur Risikogruppe zählt, Symptome aufweisen und tatsächlich in Folge der Infektion schwer erkranken - oder gar sterben. Grundsätzlich ist die Nachfolge des Präsidenten in den USA gesetzlich geregelt. Im 25. Zusatz zur Verfassung ist zudem festgelegt, wie zu verfahren ist, wenn der Präsident gar nicht mehr oder zumindest vorübergehend nicht in der Lage ist, seinen Pflichten nachzukommen. In beiden Fällen käme zunächst aktuell Vizepräsident Mike Pence zum Zug.
Doch was bedeutet das für die Wahl? Rein formell würde sich wohl zunächst nichts ändern. Trump würde weiterhin auf dem Wahlzettel als Spitzenkandidat der Republikaner stehen und der Wahltermin würde der 3. November bleiben, erläuterte Viola. Sollte Trump gewinnen und anschließend sterben, würde die Nachfolgeregelung greifen und Pence Präsident. Unklar aber sei, was passiere, wenn Trump sterben sollte und die Auszählung der Stimmen noch laufe oder aber das Ergebnis ihn nach seinem Tod im Amt bestätigen sollte. "Wird ein Sieg Trumps gelten und würde das heißen, dass Pence Präsident wird? Das ist unsicher, das ist Neuland."
LEGITIMITÄTSPROBLEME FÜR BIDEN
Sollte Trump sterben und verlieren, bekäme wiederum der dann nächste Präsident Joe Biden ein Legitimitätsproblem, sagte Viola. "Hat er wirklich gewonnen? Hätte er gewonnen, wenn dieses drastische Szenario nicht stattgefunden hätte?" wären Fragen, mit denen Biden sich konfrontiert sähe. "So oder so wird es eine Krise sein." Mit einem reibungslosen Machtwechsel sei nicht zu rechnen. "Es würden auf jeden Fall ganz viele Rechtsanwälte involviert sein."
Viola betonte, es sei höchst unwahrscheinlich, dass eines dieser Szenarien eintrete. Eine andere, ebenfalls aber unwahrscheinliche Möglichkeit sei zudem, dass sich Republikaner und Demokraten im Falle von Trumps Tode zusammenrauften, um die Krise zu überwinden. "In der Atmosphäre, in der wir jetzt sind, ist das aber schwer vorstellbar."