Joschka Fischer mahnt Europa zu Einigkeit - Ehemaliger Außenminister eröffnet Doktorandenschule an der FU Berlin
News vom 17.11.2007
Die Plätze im Audimax der Freien Universität reichten nicht aus. Mehr als 1200 Zuhörer drängten sich in dem Hörsaal im Henry-Ford-Bau, als die Graduiertenschule für Nordamerikastudien Anfang November mit einem Festakt eröffnet wurde. Es war gleich in doppelter Weise eine außergewöhnliche Eröffnungsfeier. Denn die 'Graduate School of North American Studies" des John-F.-Kennedy-Instituts ist nicht nur ein Projekt der Freien Universität, das bereits in der ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs von Bund und Ländern im vergangenen Jahr als besonders förderungswürdig anerkannt wurde. Mit Joschka Fischer hatte die Hochschule auch einen prominenten Festredner gewinnen können.
Und der ehemalige Bundesaußenminister wusste sein Publikum zu fesseln. Unter dem Titel 'Europa und Amerika: Über die Zukunft einer schwierigen Freundschaft" beklagte Fischer eine 'transatlantische Drift" seit dem Ende des Kalten Krieges: auf der einen Seite die starke, und mittlerweile alleinige Supermacht USA, auf der anderen Seite ein schwaches, vielstimmiges Europa. Um das transatlantische Verhältnis auch weiterhin partnerschaftlich gestalten zu können, müsse sich der alte Kontinent als einiges Europa präsentieren, beschwor Fischer in seiner Rede, in der er sich auch mit dem neuen Rollenverständnis Amerikas in den globalen Machtverhältnissen auseinandersetzte.
Ein Thema, das auch im Mittelpunkt der Forschung an der neuen Graduiertenschule stehen wird. Gerade nach den Ereignissen des 11. September und vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt sind kulturelle Traditionen wie das amerikanische Freiheitsideal und die Bedeutung demokratischer Werte in den USA und Kanada vor besondere Herausforderungen gestellt. Als zentraler Wert der amerikanischen Gesellschaft fungiert Freiheit als eine Leitidee, die seit der Gründung der amerikanischen Nation immer wieder als Motor sozialer und kultureller Veränderungen gewirkt hat. Zugleich ist sie aber auch Ausgangspunkt immer neuer Debatten darüber gewesen, welche ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Realisierung von Freiheit notwendig sind und wie sie am besten gegen anarchische und tyrannische Bedrohungen geschützt werden kann. In den USA haben neuere Entwicklungen zu einer Debatte um die Neuausrichtung und Neudefinition von Demokratie und Freiheit geführt, die von einem sich herausbildenden konservativen Konsens getragen wird. Der Aufstieg der USA zur alleinigen Supermacht und der notfalls auch gewaltsame Export demokratischen Gedankenguts hat dem Kampf um die Ausgestaltung des Freiheitsgedankens zwischen liberalen und konservativen Kräften neue Intensität verliehen. Die weitreichenden Konsequenzen dieser Entwicklung für das Selbstverständnis der USA und die normativen und institutionellen Grundlagen des internationalen Systems bilden die Horizonte der Forschung an der Graduiertenschule.
Die 'Graduate School of North American Studies" wird über fünf Jahre mit rund einer Million Euro jährlich aus dem Topf des Exzellenzwettbewerbs gefördert. Unter dem Titel 'The Challenges of Freedom" werden mit der neuen Doktorandenausbildung jedes Jahr elf gutdotierte und auf drei Jahre Förderung angelegte Promotionsstipendien international ausgeschrieben. Eine Chance haben dabei nur exzellente Forschungsprojekte, wie beispielsweise das historische und gegenwärtige Selbstverständnis der USA, die Entwicklung der Medienlandschaft, die Problematik der illegalen Immigration, die neoliberale Wirtschaftspolitik oder die zeitgenössische Kunst- und Literaturproduktion der USA und Kanadas. Die Bibliothek des Kennedy-Instituts, die über die größten und wichtigsten amerikakundlichen Bestände Europas verfügt, bietet den Stipendiaten Zugang zur relevanten Fachliteratur. Der in Deutschland einmalige Zuschnitt des Instituts ermöglicht die besondere Breite förderungswürdiger Promotionsthemen. Denn dort arbeiten Vertreter dreier geistes- und dreier sozialwissenschaftlicher Fächer seit Jahrzehnten in Forschung und Lehre zusammen: Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Geschichte, Politische Wissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft.
Nach der erstmaligen Ausschreibung der Stipendien im November 2006 und der Auswahl der ersten elf Stipendiaten im April 2007 hat die Graduiertenschule vor wenigen Wochen ihren Lehrbetrieb aufgenommen. Dafür wurde eine in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kennedy-Institut gelegene Dahlemer Villa zu einem 'Graduate Center" ausgebaut, in dem Seminar-, Arbeits- und Aufenthaltsräume untergebracht sind. Diese räumliche Konzentration sorgt für kurze Wege und direkte Kommunikation. Und Kommunikation wird großgeschrieben. Denn nach amerikanischem Vorbild wird das Verfassen der Doktorarbeit von einem differenzierten Lehrprogramm begleitet, das ganz auf die Bedürfnisse der Promovierenden abgestellt ist: Die Stipendiaten setzen sich mit Forschungsmethoden auseinander, werden aber auch an die Praxis interdisziplinärer Arbeit herangeführt und mit den Perspektiven anderer Disziplinen konfrontiert. Amerikanische und kanadische Gastprofessoren beteiligen sich am Lehrprogramm.
Einen weiteren wichtigen Bereich der Lehre stellen Kurse und Workshops dar, in denen schriftliche und mündliche Präsentationstechniken von Forschungsergebnissen systematisch entwickelt werden. Am Ende des ersten Jahres müssen die Doktoranden eine internationale Graduiertenkonferenz selbstständig planen und durchführen. Kurz vor Fertigstellung der Dissertation schließlich werden die Stipendiaten Gelegenheit zur Durchführung eines Seminars im Bachelor-Programm des Instituts erhalten.
Die Stipendiaten erfahren in der Graduiertenschule eine intensive Betreuung. Für jeden wird individuell ein Mentorenteam zusammengestellt, dem drei Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen angehören. Derzeit sind neben den sechs Professorinnen und Professoren des Kennedy-Instituts weitere zwölf Hochschullehrer aus verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern der Freien Universität an der Graduiertenschule beteiligt. Sie alle stehen als Mentoren zur Verfügung. Namhafte wissenschaftliche Institutionen aus Berlin und Brandenburg unterstützen die Stipendiaten bei ihren Forschungsvorhaben. In ähnlicher Form haben die American Studies-Programme amerikanischer Partneruniversitäten wie Harvard, Yale, Stanford, Brown oder North Carolina eine Zusammenarbeit mit der Graduiertenschule vereinbart.
Die Autorin ist Direktorin der Graduiertenschule für Nordamerikastudien am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 17.11.2007)