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Oak Grove Church of the Brethren

Oak Grove Church of the Brethren

 

Feldbericht von Tobias Scholz

(Aufenthalt: 13.-16. April 2006)

 

INHALT:

  1. Aktivitätenspiegel
  2. Die Gemeinde - Geschichte und Verbreitung
  3. Werte
  4. Kirche und Gottesdienste
  5. Das Osterwochenende
  6. Zur Beobachterrolle und persönliche Erfahrungen

 

 

1. Aktivitätenspiegel

 

Donnerstag, 13. April 2006        

  • 11:00 Uhr: Ankunft in Gemeinde, Gespräch mit Ed Woodward über unser Projekt und die Brethren-Gemeinde.
  • 12:00 Uhr: Lunch mit Ed Woodward, langes Gespräch.
  • 19:00 Uhr: Love Feast, Gründonnerstags-Gottesdienst mit Ritual der Fußwaschung.
  • 21:00 Uhr: Abendessen mit Austauschschülern aus der Gemeinde zugehörigen Familien. Übernachtung bei Dolores Huffman, Gemeindemitglied

 

Freitag, 14. April 2006                 

  • 10:00 Uhr: Tour durch die Gemeinderäume.
  • 11:00 Uhr bis 13:30 Uhr: Gottesdienst und Essensausgabe im Samaritan Inn, einer selbstorganisierten Mission für Obdachlose in Roanoke mit Mray Wilson und ihren drei Kindern.
  • 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr: Besichtigung der Rescue Mission Roanoke, einer von vielen Kirchen getragenen Einrichtung. Teilnahme an Ed Woodwards Klasse Introduction to Christianity als Teil eines Recovery Programms für Suchtkranke.
  • 19:00 Uhr: Karfreitagsgottesdienst / Service of Darkness. Übernachtung bei Ed Woodward

 

Samstag, 15. April 2006              

  •  08:00 Uhr: Holzhacken für das Project Warm, einer Holzversorgung für Bedürftige in Roanoke.
  • 11:00 Uhr: Easter Egg Hunt in der Gemeinde.
  • 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr: Fahrt zum Camp Bethel, einem Freizeit- und Tagungsort der Brethren-Gemeinden Roanoke in der Blue Ridge. Übernachtung bei Ed Wooward

 

Sonntag, 16. April 2006

  • 06:00 Uhr: Sunrise Service / Osternacht am Loch Haven Lake.
  • 08:00 Uhr: Frühstück in der Gemeinde.
  • 09:45 Uhr: Bible Study mit Senior High Gruppe.
  • 11:00 Uhr: Ostersonntagsgottesdienst.
  • 14:00 Uhr: Osteressen mit Familie bei Pastor Woodward. Abfahrt nach Lexington am 16. April, 15:30 Uhr.

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2. Die Gemeinde - Geschichte und Verbreitung

Die Oak Grove Church of the Brethren ist eine im südwestlichen Teil Roanokes gelegene Kirche mittlerer Größe (gemessen am Durchschnitt der Gemeinden in Roanoke). Etwa 150 Menschen kommen durchschnittlich zu den Gottesdiensten.

Die Church of the Brethren gehen zurück auf den Kirchengründer Alexander Mack in Schriesheim (Baden-Württemberg), der 1708 zum ersten mal eine Erwachsenentaufe in einem Fluss (Eder) durchführte. Mack emigrierte im Jahr 1729 nach Pennsylvania, von wo aus die Church of the Brethren (Brüdergemeinde), meistens German Baptists genannt, sich ausbreitete. Heute hat die zur Gruppe der Anabaptistischen Kirchen (Mennoniten / Amish) gehörige Church of the Brethren (inklusive diverser Gruppen, die sich im 18. und 19. Jahrhundert abgespalten haben) etwa 200.000 Mitglieder. Im Staate Virginia konzentriert sich die Kirche vor allem um Roanoke, wo es etwa 90 Gemeinden gibt.

Oak Grove Church of the Brethren wurde 1902 gegründet und ist seit 1960 an ihrer jetzigen Stelle beheimatet. Seit 1960 wurden in regelmäßigen Abständen Anbauten nötig, zuletzt 2004 und 2005. Die Kirche wächst stetig und macht einen sehr gesunden Eindruck (darauf deutet u.a. die Anzahl von Kindern in der Gemeinde hin).

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3. Werte

Ursprünglich zentrale Werte der Brethren sind: Nächstenliebe, Pazifismus und Schlichtheit. Letztere beiden resultierten lange Zeit in der Weigerung der Männer, ins Militär einzutreten, sowie der Tradition des plain clothing, ähnlich den Amish. Im 20. Jahrhundert hat die Church of the Brethren sich jedoch zu einer sehr progressiven Kirche entwickelt, deren Traditionenen keinen Anachronismus mehr darstellen. Pazifismus ist beispielsweise weiterhin ein zentraler Wert. Sein Dogma wurde durch die Frage der Teilnahme an den Weltkriegen stark abgeschwächt, er kehrt aber angesichts der streitbaren Kriege der USA seit Vietnam und speziell seit dem Irakkrieg 2003 wieder zurück. Die Kirche ist in dem Sinne stark politisiert, als dass sie in starker Opposition zu den konservativen Werten des evangelikalen Mainstreams und der Baptisten steht.

Das den Alltag leitende Gebot der Nächstenliebe bestimmt sämtliche Aktivitäten der Gemeindemitglieder. Sei es, einen Gast zu beherbergen, in einer Suppenküche für Obdachlose Essen auszugeben oder Holz zu hacken, das im Winter an Arme und Bedürftige zum Heizen verteilt wird.

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4. Kirche und Gottesdienste

Die Kirchenanlage der Gemeinde ähnelt stark einer evangelischen Kirche irgendwo in Deutschland. Vor allem das Gotteshaus selbst. Das Fassungsvermögen liegt etwa bei 200 Menschen, während des Ostersonntaggottesdienstes erwies es sich als viel zu klein.

Die Gottesdienste am Osterwochenende sind, wie bei vielen Kirchen, ein Höhepunkt im Jahr mit vielen Besonderheiten, jedoch können anhand der gemachten Erfahrungen auch Aussagen über „normale“ Sonntagsgottesdienste gemacht werden.

Am Gottesdienst sind etwa 10 Leute aktiv beteiligt inklusive Chor. Die Musik ist zum größten Teil traditionell – die Brethren haben ein eigenes Gesangbuch – , wichtige Bestandteile sind der Chor und das erst kürzlich gegründete Handbell-Orchester. Moderne Elemente werden nicht unterdrückt, sie tauchen auf in Form von Gitarrenbegleitung etc. Aber da die musikalische Begleitung der Services überhaupt nicht verordnet erscheint, vermittelt der Gottesdienst ein sehr kohärentes Bild. Speziell für einen evangelischen deutschen Beobachter. Gebete und Lieder wechseln sich mit Einlagen ab, den Höhepunkt bildet die Predigt, deren Charakter einzig vom Pastor abhängig ist.

Ein besonderes Charakteristikum des Gottesdienstes sind die Praises and Concerns. Vom Pastor ausgehend stehen Mitglieder der Kirche auf und äußern Bitten, für Bekannte oder Freunde zu beten, denen es schlecht geht sowie sich mit Menschen zu freuen, denen Gutes widerfahren ist.

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5. Das Osterwochenende

An Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag findet einer Reihe von besonderen Gottesdiensten statt, beginnend mit dem Ritual des Love Feast am Abend des Gründonnerstags (es findet ein weiteres Mal im Herbst statt). Das Love Feast ist ein Gottesdienst mit Fußwaschung und anschließendem gemeinsamen Abendbrot, dem Agape meal. Diese Feier des letzten Abendmahls beginnt in der Kirche mit einem Gebet, bei dem sich alle in Stille in den Gemeindesaal begeben und an in Kreuzform angeordneten Tischen Platz nehmen. Nachdem Bibeltexte zitiert und Lieder von Chor und Gemeinde gesungen sind, setzen sich Frauen und Männer getrennt in Kreise, um seinem/seiner jeweilig rechten Nachbar(i)n die Füße zu waschen, wie es Jesus bei den Jüngern getan hat. Diesem Ritual folgt das Abendmahl.

In einer ähnlich andächtigen Atmosphäre findet der Service of Darkness, der Karfreitagsgottesdienst in der Abenddämmerung statt. Ohne Gesang der Gemeinde und mit einer sehr ruhigen Predigt wird die Passion Christi nacherzählt und nachempfunden. Am Ende werden die Lichter gelöscht und man geht schweigend auseinander.

Am frühen Morgen des Ostersonntags wird die Auferstehung Christi in einem Osternachtsgottesdienst gefeiert. Dieses Jahr fand diese Feier zum ersten mal an einem See außerhalb der Stadt statt. Der Ostergottesdienst selbst ist wie immer um 10 Uhr. Die Kirche war dazu absolut überfüllt.

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6. Leitung der Gemeinde und Rolle der Frauen

Die Leitung der Gemeinde bildet das Church Council, dem der Pastor vorsteht. Den verschiedenen Ministries stehen Frauen wie Männer vor.

Die Beantwortung der Frage nach der Gemeindeleitung mündet schnell in eine Charakterisierung des Pastors, dessen Führung das Gemeindeleben stark prägt. Reverend Woodward ist seit 15 Jahren der Pastor der Oak Grove Gemeinde. Er wuchs in einer streng baptistischen Gemeinde auf und konvertierte als 20jähriger zur Church of the Brethren. Sein mächtiges Auftreten, seine tiefe Stimme und sein lautes Lachen erwecken einen sehr väterlichen Eindruck. Aufgrund dieser wichtigen Integrationsfigur ist man versucht, den Charakter der Kirche auf diese allein zurück zu führen, was jedoch dem Ganzen Gemeindegefüge nicht gerecht würde.

Die Rolle der Frauen bedarf keiner besonderen Erklärungen. Männer und Frauen leben in Alltag und Kirche absolut gleichberechtigt, wobei es unter den Brethren sehr wohl Menschen gibt, die sich als wertekonservativ beschreiben würden und deshalb sehr wohl Abweichungen von dieser Einschätzung vorkommen können. Grundsätzlich wäre es aber für eine Frau möglich in der Church of the Brethren das Pastorenamt zu bekleiden.

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7. Zur Beobachterrolle und persönliche Erfahrungen

Die Erfahrungen in der zweiten Gemeinde müssen vor dem Hintergrund des ersten Gemeindeaufenthaltes in der First Baptist Church Roanoke betrachtet werden.

Direkt nach meiner Ankunft am Donnerstag (13.4.) gegen 11 Uhr Vormittags hatte ich die Gelegenheit zu einem langen Gespräch mit Reverend Ed Woodward über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Baptisten und den Brethren. Mr. Woodward, in dessen Haus ich zwei Nächte verbringen durfte, stand mir darüber hinaus zu jeder Zeit als Ansprechpartner zur Verfügung.

Erstaunlich schien mir Woodwards Aussage in unserem ersten Gespräch, demnach die Church of the Brethren in theologischen Grundsatzfragen gar nicht soweit von den Baptisten der Southern Convention entfernt seien. Der große Unterschied besteht natürlich in der wörtlichen Bibelauslegung letzterer, außerdem in deren Bindung an ein rechts-konservatives Wertesystem und letztlich der stets gegenwärtigen Forderung und Bedingung der Konversionserfahrung.

All diese Aspekte spielen im Alltag der Brethren keine Rolle: Den Gemeindemitgliedern wird ein langer, „steiniger“ Weg des Zweifels hin zu Gott zugestanden, wobei sie von jedem Hilfe erwarten können. Aus diesem Grund war es mir erstens möglich, unvoreingenommen im Gespräch über mein eigenes Verhältnis zu Gott und meinen Blick auf die Gemeinde zu reflektieren. Zweitens wurde meine Beobachterrolle hingenommen und sogar willkommengeheißen, und zwar ohne das man mir irgendwelche Antworten auf (vermutete) Fragen meinerseits geben wollte, d.h. sich nach Außen hin zu präsentieren.

Die Offenheit, mit der man mir in der Gemeinde begegnete, ermöglichte mir den Blick auf eine Reihe von  Merkmalen, die die Menschen gerade zur Church of the Brethren bringen. Das vielfach gezeigte Interesse an unserem Projekt und der Rolle der Religion in Europa und den USA generell war nicht gespielt, sondern erschien mir ehrlich. Ich hatte den begründeten Eindruck, meine Standpunkte zu diesen Themen würden in Meinungen einfließen und ernsthaft reflektiert.

In den wenigen Tagen meines Aufenthalts hatte ich die Gelegenheit, mit einer überdurchschnittlichen Zahl an Gemeindemitgliedern gute Gespräche über ihren Glauben und die Kirche der Brethren zu führen, dies sogar meistens während diverser gemeinsamer Aktivitäten.

Der Umstand, dass ich mich am Osterwochenende in der Kirche der Brethren aufhielt, war äußerst förderlich. Ich gewann den Eindruck, dass das Osterwochenende die Quintessenz des Glaubens und der Glaubenspraxis der Kirche komprimiert und nicht etwa „aus der Reihe fällt“ oder das Bild der Gemeinde verzerrt.

Nach nur knapp vier Tagen in der Gemeinde hatte ich das Gefühl, in einer Familie aufgenommen worden zu sein, eine Erfahrung, die jeder Teilnehmer aus der Exkursionsgruppe hier gemacht hätte, weil sie einfach zum Charakter der Kirche gehört. Der seit der Exkursion bestehende e-mail Kontakt zu Reverend Woodward und der Familie Wilson bestätigt dies.

Alles in allem kann man die Church of the Brethren als Beispiel einer amerikanischen Kirche beschreiben, wie sie ein Europäer sich nur wünschen kann: Familiär, liberal und progressiv, pazifistisch, bescheiden und weltoffen. Auf den ersten Blick eine gesunde Kirche.

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