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Sweet Union Baptist Church

Sweet Union Baptist Church

 

Feldbericht von Rahel Sieghartner

(Aufenthalt: 14. -17. April 2006)

 

INHALT:

  1. Strukturelle Einordnung der SUBC in Dachorganisationen und das baptistische Kirchenleben der USA
  2. Geschichte, Gemeindestruktur und Gemeindeprofil der Sweet Union
  3. Auxiliaries und andere Funktionen innerhalb der Gemeinde
  4. Der Pastor Edward T. Burton
  5. Glaubensprofil und Mitgliederaufnahme
  6. Gottesdienst und Revival
  7. Meine persönliche Erfahrung in der Sweet Union Baptist Church

                                  

1. Strukturelle Einordnung der SUBC in Dachorganisationen und das baptistische Kirchenleben der USA

Die größte Dachorganisation, der die Sweet Union angehört, ist die Baptist World Alliance. Dies ist jedoch eher ein Zufallsprodukt, denn die Zugehörigkeit entsteht automatisch, sobald eine Kirche Mitglied der National Baptist Convention, zu der sich die Sweet Union zurechnet, ist. Die National Baptist Convention ist eine Organisation für afro-amerikanische Baptistenkirchen und entstand aus der Segregation. Die Southern Baptist Convention (welche sich im Übrigen bis Mitte des 19. Jahrhundert für die Sklaverei ausgesprochen hatte) war vor einigen Jahren noch eine strikt weiße Organisation die keine schwarzen Kirchen zuließ. Mittlerweile öffnet sich diese Dachorganisation jedoch auch für schwarze Kirchen. Die meisten schwarzen Kirchen verbleiben jedoch lieber in afro-amerikanischen Verbänden und Organisationen. Auf der Staatenebene gehört die Sweet Union zur Baptist General Convention und zur Virginia Baptist State Convention. Auf lokaler Ebene gehört sie zu der Valley Baptist Association.

Pastor Burton erklärte mir einiges über die Charakteristika einer afro-amerikanischen Baptistengemeinde. Während der Sklaverei waren Sklaven gezwungen, den Glauben ihres Herrn anzunehmen. Oft war es den Sklaven jedoch nicht gestattet mit dem Herrn in einem Gottesdienst zu sitzen. So tauchten schwarze Gemeinden auf, die separat von den weißen Gemeinden existierten. Das Baptistentum war für schwarze Gemeinden insofern besonders interessant, da die einzelnen Gemeinden autonom und frei von äußerer Kontrolle waren (im Gegensatz zu den Methodisten, die Bischöfe haben). Im Jahre 1781 wurde in Virginia die erste afro-amerikanische Gemeinde gegründet. Die schwarzen Gemeinden hatten zunächst keine nationale Organisation. Jedoch gab es lokale Verbindungen, die sich Associations nannten. Aus diesen Associations entstanden die State Conventions, aus welchen dann die National Baptist Convention entstand (die ihr erstes Treffen 1801 hatte). Ich habe des Öfteren von Gemeindemitgliedern gehört, dass es im Süden der USA noch immer eine Art Quasi-Segregation gibt. Und diese zeige sich am deutlichsten sonntagmorgens in den Kirchen.

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2. Geschichte, Gemeindestruktur und Gemeindeprofil der Sweet Union

Die Sweet Union ist eine relativ alte Kirche. Sie hat ihren Namen Sweet Union von Hallie Manns, einem der Gründer der Gemeinde, erhalten. Die Gründer der Sweet Union trafen sich im Jahre 1910 regelmäßig. Ihre Zusammenkünfte bezeichneten sie als Unions; und da diese ihnen so gut gefielen, nannten sie sie Sweet Unions. Nach einigen dieser Sweet Unions kam ihnen der Gedanke eine eigene Gemeinde zu gründen. Der Name Sweet Union bezieht sich nicht nur auf die Treffen, sondern auch auf die Einheit des Individuums mit dem Heiligen Geist. Bald wurde das ursprüngliche Gebäude der Sweet Union gebaut; 1919 wurde der alte Gottesdienstraum gebaut und 1952 wurde die gesamte Kirche noch mal vergrößert und renoviert. In den 1970er Jahren wurde ein neuer Gottesdienstraum angebaut und die alten Glasfenster des alten Raumes wurden umgesetzt und in den neuen integriert. Die Sweet Union hat einen guten Ruf in Roanoke und oft kommen Politiker während Wahlkampagnen um diesen Ruf für sich zu nutzen. Die Sekretärin Janice T. Boyd erzählte mir, dass es sogar ein Paar gab, welches auf die Sweet Union wegen ihres Namens aufmerksam wurde und deshalb dort geheiratet hat.

Die Gemeinde ist eine kongregationale Gemeinde, d.h. dass alle wichtigen Entscheidungen von den Gemeindemitgliedern in vierteljährlichen Versammlungen getroffen werden. Es handelt sich um eine eher liberale, tendenziell evangelikale Gemeinde. Allerdings wird betont, dass der Begriff evangelikal nicht uneingeschränkt zutrifft, denn er bezeichnet oft konservative, weiße Gemeinden. Die Gemeinde hat etwa 400 aktive Mitglieder und die Gottesdienstteilnahme liegt bei etwa 300 pro Sonntag. Die Kirchenmitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und sind vornehmlich schwarz (mind. 95%). Es gibt viele Rentner unter den Gemeindemitgliedern, welche sich freiwillig engagieren. Der Altersschnitt der Mitglieder liegt bei etwa 45-50 Jahren. Hierbei sind aber nur die Mitglieder berücksichtigt, welche die Mitgliedschaft durch Erwachsenentaufe erhalten haben. Viele Leute, die in der Gemeinde aufwachsen, entscheiden sich erst mit Ende 20 für einen Beitritt. Es gibt auch viele Gottesdienstbesucher, die keine Mitglieder sind. Gemeindemitglieder kommen aus einem Umkreis von 15 Meilen. Bei der Sweet Union handelt es sich um eine wachsende Gemeinde. Als Gründe für das Wachstum der Sweet Union werden das Familien- und Gemeinschaftsgefühl, welches Zuverlässigkeit und Assistenz bei dem persönlichen spirituellen Weg anbietet, genannt. Auch in der Sweet Union gibt es Reibungspunkte. So ist es für einige noch ein Problem, dass der Ko-Pastor eine Frau ist (Ko-Pastorin Brenda Brown ist es nicht gestatten zu der Ministers’ Conference of Virginia zu gehen, weil sie eine Frau ist). Neben diesem Problem gibt es auch einen Doppelstandard für männliche und weibliche Pastoren: bei einer Frau wird genauer hingesehen, einem Mann werden Fehltritte eher verziehen. Ein anderes Problem, was nicht direkt auf die Sweet Union, aber auf andere Gemeinden in der Umgebung zutrifft bzw. zutraf, war das sündige Verhalten des Pastors, der ja eigentlich ein Beispiel an christlicher Lebensführung abgeben sollte. So haben einige Pastoren uneheliche oder außereheliche Kinder und Affären.

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3. Auxiliaries und andere Funktionen innerhalb der Gemeinde

Auxiliaries heißt frei übersetzt in etwa Hilfseinheiten und sind z.B. das Music Department, Nursery, Sunday School oder die Missionary Society. Die Sweet Union hat 21 Auxiliaries.

 

Deacons

Es gibt 12 Deacons, die Gemeindemitglieder in alphabetischer Zuordnung betreuen. Sie gehören nicht in die Kategorie der Auxiliaries. Die Aufgaben eines Deacon beinhalten das Durchführen des Abendmahls, Gebete sprechen, die Einführung in den Gottesdienst geben (morning devotion of the day), Gespräche mit möglichen neuen Mitgliedern führen, ab und zu die Sonntagsschule leiten und Besuche bei Mitgliedern. Im Allgemeinen assistieren Deacons dem Pastor im und außerhalb des Gottesdienstes. Als Richtlinie für das Amt des Deacon gilt Timothy 3:8-12. Im Idealfall sollte ein Deacon die darin genannten Voraussetzungen erfüllen (das Verheiratetsein ist in der Sweet Union aber nicht so wichtig). Das Amt des Deacon hat man prinzipiell lebenslang (kann es aber auch abgeben). Wer ein Deacon werden will, durchläuft einen Prozess. Zunächst gibt das Board of Deacons eine Empfehlung für einen Deacon heraus und die Mitglieder der Kirche wählen diesen Deacon dann in der vierteljährlichen Versammlung. Wird er gewählt, erhält er eine Ausbildung und ist Deacon für eine Probezeit von 6-12 Monaten. Die Gemeinde beobachtet den Deacon in dieser Zeit genau. Nach einiger Zeit wird der Deacon der Gemeinde dann auf der Versammlung präsentiert und sie stimmen (meist) dafür ihn als Deacon zu akzeptieren. Der Deacon wird dann in einem speziellen Gottesdienst außerhalb des Sonntaggottesdienstes ordiniert, wobei seine erste wahrgenommene Pflicht als neuer Deacon das Auffordern der Gemeine zum Spenden ist (eine der Aufgaben der Deacons im Gottesdienst generell).

 

Das Finance Committee

Die Gemeinde finanziert sich durch Spenden. Die Ushers sammeln die Spenden und geben sie gleich nach der Sammlung an Mitglieder des Finance Committees (dieses gehört auch nicht zu den Auxiliaries). Dabei gibt es ein ausgeklügeltes System, um einen Überfall zu verhindern. Die Mitglieder des Finance Committees, die die Spenden zum Tresor bringen, stehen die ganze Zeit per Walkie Talkie mit  den Ushers in Verbindung und Beschreiben jeden Schritt. Direkt nach dem Gottesdienst macht sich das Finanzkomitee in seinem eigenen, von innen verschließbaren Raum an die Arbeit. Sie rechnen alles ab und nehmen weitere Spenden (oft für bestimmte Zwecke oder Auxiliaries) entgegen. Das Komitee besteht aus 10 Leuten die neben den Geldgeschäften auch vor jeder Sitzung Gebete für Leute aufsagen. Das Komitee führt drei große Konten: den General Fund, den Building Fund und den Auxiliary Fund. In den vierteljährlichen Gemeindeversammlungen präsentiert das Finanzkomitee die Budgetpläne, welche die Gemeindemitglieder genehmigen müssen. Es erfolgt ebenfalls ein Umsatzreport und jedes Jahr gibt es einen großen Finanzreport. Das Finance Committee der Sweet Union gilt als eines der besten in ganz Virginia, weil es so transparent arbeitet. In den meisten Gemeinden sind der Pastor und/oder die deacons für die Finanzen verantwortlich. Das Durchschnittseinkommen eines Sonntages liegt zwischen 10.000 und 12.000 Dollar. Bisher hat die Sweet Union immer genügend Geld zur Verfügung gehabt; so viel, dass Geld in Stipendien und Finanzhilfen gesteckt werden kann und konnte.

 

Musik und Chor

Musik spielt eine sehr große Rolle in der Sweet Union (das Music Department und alle Chöre sind Auxiliaries). Es gibt sieben verschiedene Chöre und fast ein Drittel der Gemeindemitglieder singen in einem Chor (also an die 100 Leute). Neben den Chören werden im Gottesdienst folgende Instrumente eingesetzt: Piano, Schlagzeug und Orgel. Die neuste Einführung sind Power-Point-Präsentationen, die die Songtexte mit passenden Bildern zeigen. Es wird immer versucht, die Lieder passend zur Predigt auszuwählen. Es ist festgelegt, welcher Chor an welchem Sonntag singt. Am ersten Sonntag im Monat singen die Echos of Faith (Seniorenchor), am zweiten der William-Gilbert-Memorial-Gospel-Chorus (gemischter Erwachsenenchor), am dritten der E.T.-Burton-Choir (gemischter Erwachsenenchor), am vierten der Angelic Choir (Kinder zwischen 2 und 5 Jahren) und die Sweet Voices of Praise (Kinder, Jugendliche und einige Erwachsene, sie singen moderne Gospelsongs) und am fünften Sonntag im Monat singen der Willis-J.-Ferguson-Memorial-Men’s-Chorus (Männerchor) und der G-Clef-Chorus (Frauenchor). Jeder Chor hat eigene Roben und einen eigenen Musikstil. Die Sweet Union bietet ein breites Spektrum an kirchlicher Musik: Spirituals, moderne Musik, moderner und klassischer Gospel.

 

Board of Trustees

Für die Instandhaltung des Kirchenhauses und allem dazugehörigen Inventar ist das Trustee Board (keine Auxiliary!) zuständig. Es handelt sich dabei um Mitglieder, die diese Tätigkeit ehrenamtlich ausüben. Sie beaufsichtigen die Reinigung der Kirche und momentan wachen sie über den Anbau von Bürogebäuden. Die Trustees berichten in der vierteljährlichen Gemeindeversammlung. Wenn sie neue Anschaffungen machen wollen, muss die Gemeinde das absegnen (bei kleineren Anschaffungen haben sie ein bestimmtes Budget zur Verfügung). Wenn Reparaturen anfallen, holen die Trustees Angebote ein oder versuchen jemanden aus der Gemeinde zu finden, der die Reparatur übernehmen kann. Es gibt 16 Trustees (davon vier Frauen) und jeder Trustee ist für eine bestimmte Aufgabe zuständig, wie z.B. dafür zu sorgen, dass möglichst bald eine Straßenlaterne vor der Kirche aufgestellt wird.

 

Ministries und Missionary Society

Es gibt ein gesondertes Auxiliary namens Mary Florence Gilbert Missionary Society, das sich mit Missionen und ministries beschäftigt. Laut meiner Gesprächspartnerin Catherine Harrison sind ministries die meisten Dienste, die die Kirche anbietet. Die Mission hingegen ist der Gedanke dahinter, der sich aus der Bibel ableitet (z.B. das Kümmern um Kranke und Verwitwete). In der Sweet Union gibt es zwei Arten der Missionsarbeit: Missionsarbeit im Ausland und Missionsarbeit in der Umgebung. Wenn es um die Auslandsmissionen geht, spendet die Sweet Union vor allem Geld an die Lott Carey Foreign Mission Convention. Die Sweet Union selbst schickt keine Missionare ins Ausland, spendet jedoch Geld für Schulaufbau, technologische und administratorische Hilfen in den Ländern Indien, Jamaika, Kenia, Liberia, Guyana, Haiti, Nigeria, Südafrika, Uganda und Simbabwe. Wenn es um Missionsarbeit in der Umgebung geht, so wird auch Geld an Lott Carey gegeben, die dann das Baptist Children Home (Waisenhaus), das Virginia Seminary Lynchburg (Ausbildungsstätte für baptistische Pastoren) und andere Bildungseinrichtungen mit dem Geld unterstützen. Im Vordergrund steht immer die Verbreitung des Evangeliums. Ministries, die die Sweet Union selbst ausübt, sind z.B. eine monatliche Bibelstunde im Altersheim, das Anrufen kranker und einsamer Gemeindemitglieder, das Verschicken von den bulletins (Faltblättchen zum Sonntagsgottesdienst mit Organisatorischem) und das Planen von Sonderaktionen an Weihnachten. Von 20 Leuten, die in der Missionary Society ehrenamtlich beschäftigt sind, sind 15 aktiv dabei.

Die Gemeinde hat außerdem noch ministries wie z.B. eine Essens- und Kleiderausgabe. Es gibt auch eine Transportation Ministry (gehört zu den Auxiliaries), bei welcher arme Gemeindemitglieder ohne Auto zum Gottesdienst abgeholt werden. Der Gemeinde stehen dafür mehrere eigene Busse zur Verfügung.

 

Board of Christian Education

Das Board of Christian Education (im Organigramm kein Auxiliary) wird von der Ko-Pastorin Brenda Brown geleitet und ist für die Theologie der Gemeinde verantwortlich. Die Mitarbeiter des Board of Christian Education stellen ie Inhalte für die Sonntagsschule zur Verfügung und unterrichten ebenfalls die Klasse für neue Mitglieder. Neue Mitglieder erhalten vom Board ein Willkommenspaket mit Bibel, Brief und Informationsblatt der Glaubensgrundlagen. Auch sieht das Board zu, dass jedes neue Mitglied ein altes Mitglied an die Seite bekommt, um sich zurecht  zu finden. Das Board of Education kümmert sich um den Kontakt zu den Associations und Conventions. Es werden die Versammlungen dieser Dachorganisationen von den Mitarbeitern besucht.

 

Sunday School

Die Sunday School (ein Auxiliary) wird von Lutheria Smith geleitet. Es werden mehrere Sonntagsschulklassen angeboten, leider weiß auch Lutheria nicht genau wie viele. Die Klassen sind nach Alter gegliedert und es gibt Klassen wie nursery school (Babies), kindergarten, mehrere Kindergruppen, young adults, women’s adult und men’s adult. Neben der Bibel werden Sunday School Lehrbücher benutzt, in denen Bibelpassagen zu bestimmten Themen abgedruckt sind. Die Bibel wird als gottesinspiriertes Wort verstanden. Es geht in der Sonntagsschule nicht darum, Religion zu lehren, sondern der Fokus liegt auf der Beziehung zu Gott. Es geht darum, die Bibellehre auf den Alltag zu beziehen. So sprach Lutheria in der Sonntagsschulklasse nicht nur von der Auferstehung Christi sondern auch davon, dass jeder Mensch einen Neustart haben kann. Weiterhin sagt sie, dass Gott während der Sonntagsschulklasse individuell zu jedem spricht – also nimmt jeder etwas anderes aus der Sonntagsschule mit. Es geht nicht darum, dem Lehrer zuzuhören und die Regeln sklavisch zu befolgen, sondern seinen eigenen Zugang zu Gott zu finden. Christliche Fundamente wie z.B. die Jungfrauengeburt oder die Dreifaltigkeit werden gelehrt und es gibt die Idealvorstellungen eines christlichen Lebens, welches Abtreibungen, Homosexualität oder Alkoholismus eigentlich ausschließt. Jedoch sei jeder Mensch ein Sünder und nur Jesus sei perfekt gewesen, deshalb ist jeder willkommen in der Gemeinde. Die Sunday School der Sweet Union ist deutlich schlechter besucht als der Gottesdienst. Die größte Lücke bei den Besuchern tut sich bei den jungen Erwachsenen und Eltern auf. Viele Eltern schicken ihre Kinder zur Sunday School, nehmen aber selbst nicht daran teil. Lutheria wünscht sich daher möglichst bald Themenklassen einzuführen (z.B. über Finanzen) und Klassen für junge Paare um die Lücke zu schließen.

 

4. Der Pastor Edward T. Burton

Pastor Burton macht zu seiner Biografie folgende Angaben: Er wurde 1927 in Baltimore, Maryland, geboren und wuchs in Richmond, Virginia, auf. Er hat den Bachelor in Soziologie und einen Master in Divinity von der School of Religion of Virginia Union. Er begann ein Doktorstudium am Lutheran Seminary in der Columbia University, brach es jedoch ab. In mehreren Staaten arbeitete er als Pastor und kam 1959 zur Sweet Union Baptist Church, wo er seit 47 Jahren Pastor ist. Neben seiner Tätigkeit an der Sweet Union arbeitete er 18 Jahre lang als Kaplan für das Veteran’s Administration Hospital. Pastor Burton war Präsident der Minister’s Conference und der Virginia Baptist State Convention. In der District Association war er auch Präsident. Im Jahr 2001 wurde Burton zum Citizen of the Year von der Stadt Roanoke gewählt und hat sich wiederholt als Mittler zwischen weißen und schwarzen Nachbarschaften verdient gemacht.

Die USA sieht Pastor Burton als eine multirelgiöse Nation. Die vielen Religionen, die in den letzten Jahren hinzukamen, sorgten für mehr Toleranz. Dennoch sieht er die USA als mehrheitlich protestantisches Land. Für ihn geht der Trend des religiösen Lebens weg von der Tradition, dass die Kinder die Religion bzw. Kirche der Eltern annehmen hin zu interdenominationalen Kirchen. Für die Sweet Union wünscht er sich weiteres Wachstum und einen stärkeren Einfluss auf die Nachbarschaft durch outreach programs. Er wünscht sich für die amerikanische Gesellschaft eine „coffee-colored-society“, in der es viele Religionen gibt und in der jede Religion ihre höchsten Werte auslebt.

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5. Glaubensprofil und Mitgliederaufnahme

Die Bibel wird in der Gemeinde nicht absolut wörtlich genommen und wird und muss im kulturellen Kontext gesehen werden (was Paulus schreibt sind Paulus’ Gedanken über Gott). Sie gilt dennoch als Richtlinie durch das Leben. Bei der Interpretation der Bibel gibt es einen relativ großen Spielraum. Wenn es etwa um die Frage der Homosexualität geht, so ist die Gemeinde relativ offen. Homosexuelle werden als Mitglieder zugelassen, jedoch wird ihre Homosexualität als sündig und als Verstoß gegen biblische Richtlinien empfunden. Da aber jeder Mensch ein Sünder ist und keiner perfekt (denn das war nur Jesus), werden Homosexuelle ebenso wie Drogen- und Alkoholsüchtige, Ehebrecher oder Kriminelle grundsätzlich in die Gemeinde aufgenommen. Die Gemeinde versteht sich als inklusiv und es herrscht die Meinung, dass jeder Mensch von Gott geliebt wird (mir wurde gesagt, dass dies Merkmale schwarzer Baptistengemeinden seien). Ein offensichtlicher Sünder, z.B. Drogensüchtiger oder Homosexueller, könnte jedoch nicht Pastor werden. Um Mitglied in der Gemeinde zu werden, muss man den Beitrittswunsch einem der Deacons kundtun und mit dem Deacon ein Gespräch führen. Der Deacon gibt dann im Gottesdienst das Beitrittsgesuch bekannt und die anwesenden Mitglieder stimmen darüber ab, ob die betreffende Person Mitglied werden kann. Sollte das mögliche Neumitglied noch nicht getauft sein oder nur eine Taufe durch Wasserbespritzen hinter sich haben, wird diese Person getauft durch das Untertauchen des ganzen Körpers in Wasser.

Frauen haben einen gleichwertigen Status in der Gemeinde. Es kann weibliche Deacons und Trustees geben, Frauen können Sonntagsschulunterricht geben und der associate minister ist weiblich. Das Wiedergeburtserlebnis ist nicht sehr zentral – mehr scheint es, dass es so selbstverständlich ist, dass man nicht unbedingt darüber sprechen muss. Schließlich muss jemand, der sich im Erwachsenenalter taufen lässt, ein Wiedergeburtserlebnis gehabt haben. Dieses Erlebnis wird jedoch im privaten Bereich gemacht und auch nicht durch andere Gemeindemitglieder forciert. Es gibt keine öffentlichen Glaubensbekenntnisse vor der Gemeinde. Auch das sinner’s prayer wird nicht als wichtig erachtet, denn wer Gott angenommen hat, dem sind eh alle Sünden vergeben.

Ein sehr zentraler Punkt sind Zweifel. Die Associate Minister Brenda Brown hat mehrmals betont, dass es wichtig ist, dass die Menschen selbst über ihr Verhältnis zu Gott nachdenken und dabei Zweifel ein ganz natürlicher Vorgang sind. Zweifel sind sogar gewollt, denn das unreflektierte Befolgen von Vorgaben und Regeln kann, wie es schon bei vielen Kulten passiert ist (sie erwähnte in diesem Zusammenhang den Massenmord von Jonestown), zur Gefahr für den Gläubigen werden. Hörigkeit ist also nicht erwünscht und gesunde Zweifel und Kritik finden ein offenes Ohr.

Im Allgemeinen ist mir aufgefallen, dass es in der Gemeinde ein großes Bewusstsein über Rassenprobleme und die Kultur der Schwarzen gibt. Das Selbstbewusstsein als Schwarze ist stark ausgeprägt, führt jedoch nicht zu einer zielgerichteten Ausgrenzung von Weißen. Jedoch sind Weiße insofern ausgegrenzt, als das sie die Kultur der Schwarzen nicht vollständig verstehen und nachvollziehen können, sich deshalb also auch nicht bequem in dieser Kultur bewegen können. Die meisten Mitglieder der Sweet Union wählen demokratisch und stehen fundamentalistischen Inhalten von weißen Kirchen (besonders denen, die Mitglied in der Southern Baptist Convention sind) eher abgeneigt gegenüber.

Neben den Kennzeichen einer schwarzen Kirche wie erlaubten Zweifeln, großer Inklusivität, Anwendung des Glaubens im Alltag und der Betonung von Gottes Liebe zu jedem wird mir ein weiterer Punkt genannt: Betonung des revolutionären Moments der Bibel. Demnach hätten die Sklaven sehr wohl erkannt, dass ihr Status nicht dem biblischen Fluch des Ham (Genesis 9:20-27) zuzuschreiben ist und nutzten Jesus’ revolutionäre Gleichheitsthesen für sich. Weiterhin sei es wichtig, die Menschen mit Gottes Augen zu sehen, sie also trotz ihrer Fehler und Sünden zu lieben und zu akzeptieren.

Die Sweet Union befindet sich in einem sozialen Brennpunkt in Roanoke. Sie liegt in einem Schwarzenviertel, in dem es viele Drogenprobleme gibt. Die Kirche stellt sich diesen Herausforderungen in dem Sinne, dass die ausliegenden Broschüren sich mit den sozialen Problemen beschäftigen. Es gibt Broschüren zu Food Stamps, Syphilis und HIV. Ausgiebige Broschüren über Jesus oder ähnlichem fehlen hingegen.

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6. Gottesdienst und Revival

Jeden Sonntag gibt es vor dem Gottesdienst, welcher um 11:00 beginnt, ab 9:15 fünf bis sechs verschiedene Sonntagsschulen. Ich durfte am Ostersonntag zwei Gottesdiensten beiwohnen: Dem Sunrise Service, welcher um 6:00 Uhr, und dem Easter Service, welcher um 11:00 Uhr begann. Weiterhin konnte ich am Montag von 12:00 bis 13:00 Uhr an einem Revival teilnehmen.

Der Sunrise Service wurde von etwa 70 Leuten besucht (inklusive dem umfangreichen Chor). Es wurde sehr viel gesungen, Organisatorisches besprochen und ein Gastprediger hielt eine Predigt (leider habe ich ihn überhaupt nicht verstanden). Um 7:30 Uhr, nach dem Gottesdienst, gab es ein Fellowship Breakfast, zu dem alle Teilnehmer des Sunrise Service geladen waren. Die fröhliche Gemeinde versammelte sich an großen Tischen und es wurde viel und laut geredet. Nach dem Frühstück, um 9:15 Uhr, fing die Sonntagsschule an. Alle Besucher der Sonntagsschule versammelten sich in einem Raum und die Leiterin der Sunday School, Lutheria Smith, sprach ein paar einleitende Worte. Am Ostersonntag ging es um die Bedeutung der Bibel. Kernaussage war, dass die Liebe von Jesus wichtiger ist als die Bibel, denn diese ist ein Produkt ihrer Entstehungszeit. Wir sangen gemeinsam und dann, etwa gegen 9:30 Uhr, entließ sie alle in ihre Klassen. Ich nahm an der Sonntagsschule für neue Mitglieder teil, die von Brenda Brown, Ko-Pastorin und minister of Christian education, geleitet wird. Der Kurs untersteht nicht direkt dem Auxiliary Sunday School, sondern dem Board of Christian Education, und dauert sechs Wochen. In dieser Zeit lernen alle neuen Mitglieder die Glaubensgrundlagen der Sweet Union. Als ich teilnahm waren wir insgesamt etwa sieben Leute; eine Teilnehmerin hat von der Nation of Islam zur Sweet Union gewechselt. In dieser Sitzung ging es um die gottgegebenen Fähigkeiten und wie man diese in der Gemeinde sinnvoll einsetzen kann. Es wurden Kopien ausgeteilt und kleine Rätsel gelöst. Zentrale Fähigkeiten sind Support, Speaking und Supplemental. Diese werden noch mal unterteilt, z.B. in Prophetie, Gottesdiensthilfe, Lehren, Evangelisieren usw. Jeder von uns sollte seine Fähigkeiten benennen. Die Teilnehmer sprachen offen über ihre Zweifel (z.B. ob es nicht hochmütig sei seine Stärken aufzuzählen) und Erlebnisse. Es war ein Diskurs, in dem alles erlaubt ist. Interessant fand ich, wie die Teilnehmer das Wirken des Heiligen Geistes im Alltag beschrieben haben. Eine Frau erzählte, dass sie ihre Ruhe (sonst sei sie sehr aufbrausend) behielt als ein Mann sich an der Kasse vordrängelte. Das führte sie auf den Heiligen Geist zurück. Auch die Vorstellung von der Auslese vor der Endzeit, wie sie sich Brenda Brown vorstellt, fand ich bemerkenswert. Sie glaubt (vielleicht ist es Ironie), dass Gott 30 Tage lang die Rollen in der Gesellschaft ändern soll. Frauen werden zu Männern, Schwarze zu Weißen und umgekehrt. Wer diese 30 Tage überlebt sei gewappnet für das Königreich Gottes, denn wahre Christen seien in der Lage, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Um 11:00 Uhr begann der Easter Sunday Service. Einer der Deacons sprach einleitende Worte und der E.T.-Burton-Memorial-Choir (etwa 20 Leute) lief in den Gottesdienstraum ein. Sie trugen blau-weiße Roben und sangen während sie den Raum betraten. Es folgte Responsive Reading und der Deacon führte ein Gebet an, welches soziale Probleme wie allein erziehende Mütter und Arbeitslosigkeit beinhaltete. Die Gäste wurden begrüßt (u.a. auch ich mit dem Hinweis mir Fragen zu beantworten). Es folgte Organisatorisches, u.a. Memorial Gifts. Die Memorial Gifts sind Spenden, die von Mitgliedern in Erinnerung an einen (meist verstorbenen) Menschen geleistet werden. Pastor Burton liest die Namen und den Spender samt Betrag vor. Es folgt der Youth Sermon, auch von einem Deacon gehalten. Die Kinder kommen nach vorn und der Deacon erzählt eine Geschichte, wonach er einmal fast ertrunken wäre, aber Jesus ihm in der Not geholfen habet. Auch in Notsituationen wie Sexsucht, Drogen- und Alkoholmissbrauch könne Jesus helfen. Schließlich folgte ausgiebiger Gesang. Alle Kirchenbesucher standen, klatschten und sangen mit. Der Chor war sehr lebendig und teilweise tanzten die Sänger; es gab viele Solos und die Texte der Lieder waren sehr eingängig. Anschließend begann Pastor Burton mit seiner Predigt. Als Textgrundlage nahm er Offenbarung 3:1-6 und predigte über den Unterschied des physischen und seelischen Todes. Diejenigen, die Jesus nicht als ihren Retter akzeptiert hätten, würden den seelischen Tod sterben bzw. sind schon tot. In diesem Zusammenhang redet er von toten Kirchen, die vielleicht viele Mitglieder haben, deren Mitglieder aber nicht ernst in ihrem Glauben seien. Burton forderte während der Predigt Antworten von der Gemeinde und diese antwortete mit Hallejulia-, Well- und Amenrufen und lautem Klatschen. Die Predigt zeichnete sich durch viele Wiederholungen aus und Pastor Burton redete sich regelrecht in Rage. Gegen Ende schrie er nur noch. Die Predigt war nicht so angelegt, dass sie den Intellekt der Zuhörer ansprechen sollte. Ich glaube vielmehr es ging darum eine emotionale Ebene zu erreichen. Nach der Predigt wurde noch kurz gesungen und der Gottesdienst war zu Ende. Insgesamt war der Gottesdienst sehr gut besucht, ich würde sagen es waren an die 500 Leute da und jede Bank war voll besetzt. Die Leute, fast nur Schwarze, haben sich sehr fein gemacht (die Damen teilweise mit Kostüm und Hut, die Herren im Anzug). Jede Generation war vertreten. Nach dem Gottesdienst haben die Leute noch lange miteinander gesprochen.

Am Montag nahm ich an einem Revival teil. Das Revival ist ein Treffen von Leuten aus der Hill Baptist Church, der Sweet Union Baptist Church und der First Baptist Church (afro-amerikanisch). Da es generell nicht so gut besucht ist, haben diese Kirchen eine Kooperation für die Revivals. Diesmal fand es in der ziemlich kleinen Hill Baptist Church statt und es waren etwa 12 Leute anwesend. Ein Deacon der Hill Baptist Church leitete das Revival. Die Teilnehmer konnten sich Lieder aus dem Gesangsbuch wünschen, welche dann a capella von allen Teilnehmenden gesungen wurden. Besonders beliebt waren Gospel-Songs. Es wurde gemeinsam gebetet und kurze, freiwillige Glaubensbekenntnisse vor der Gruppe abgelegt (witnessing). Die Glaubensbekenntnisse waren Beschreibungen von Gottes Wirkung im alltäglichen Leben. Viele der Teilnehmer waren während ihrer Mittagspause gekommen und das ganze Treffen war sehr informell und offen.

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7. Meine persönliche Erfahrung in der Sweet Union Baptist Church

Ich habe die Sweet Union als eine sehr familiäre und offene Gemeinde erlebt. Pastor Burton hat sich sehr viel Mühe gemacht mich möglichst vielen Leuten vorzustellen und mir einen tiefen Einblick in die Struktur der Gemeinde zu ermöglichen. So hat er z.B. im Ostersonntagsgottesdienst dazu aufgerufen, dass am Montag möglichst viele der ehrenamtlich Beschäftigten der Kirche kommen und meine Fragen beantworten sollen. Und sie kamen auch – ich hatte an einem Tag sieben Gespräche. Die Leute wollten mir die Kirche erklären, aber sie wollten im Gegenzug auch mehr über mich erfahren. Im Gegensatz zu der Kirche, die ich zuvor besuchte (Calvary Baptist Church), war ich hier kein Missionierungsobjekt, sondern ein Mensch. Viele wollten wissen, wie man meinen Namen auf Deutsch ausspricht und wie Deutschland so ist. Ein sehr schönes Erlebnis war eine Einladung in eine Großfamilie am Ostersonntag. Alle waren so nett und haben uns (mich und Britta Semrock) involviert. Es hat sich angefühlt wie ein Ostersonntag bei der eigenen Familie (inklusive Eiersuche, dem großen Fressen, dem Spielen mit den Kindern und Quatschen mit der Oma und den Tanten und Onkeln). So aufgenommen zu werden ohne irgendwelche Ansprüche oder Vorausleistungen war eine schöne Erfahrung. Ich wurde nicht einmal gefragt, ob ich Christin bin. Nie hatte ich das Gefühl, als Weiße total fehlplaziert in dieser schwarzen Gemeinde zu sein.

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