Eine Geschichte - Zwei Perspektiven
Kulturspezifische Übersetzungsfunktionen des "exotisch Fremden" am Beispiel der "Terms of Trade" an der pazifischen Nordwestküste anhand der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin
Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Laufzeit: 01.04.2009 bis 31.03.2012
Zielsetzung
Ziel des Projekts ist es, nach neuen Wegen der Übersetzung des „kulturell Fremden“ zu suchen und die herkömmlichen Formen der musealen Vermittlungsarbeit zu bereichern. Diese Zielsetzung ist vor dem Hintergrund des Humboldt-Forums zu sehen, das als das gegenwärtig bedeutendste, im Entstehen begriffene deutsche Museumsprojekt der Vermittlung außereuropäischer Kunst und Kultur gewidmet sein wird. Ausgangsbasis bilden die Sammlungsbestände des Ethnologischen Museums in Berlin. Sie waren nicht nur eine maßgebliche Grundlage der bisherigen Übersetzung des „kulturell Fremden“ in Deutschland, sondern sollen diese Funktion auch im zukünftigen Humboldt-Forum erfüllen.
Das Projektteam geht dabei von der Feststellung aus, dass die vorliegenden ethnologischen Sammlungen maßgeblich durch die frühere Annahme geprägt sind, dass die zusammengetragenen Objekte Relikte zum Untergang verurteilter „authentischer“ Kulturen darstellen – mit entsprechenden Konsequenzen für die museale Übersetzungsfunktion. Da diese Annahme heute so nicht mehr haltbar ist, gilt es, die Grundlagen zu überdenken und nach Alternativen für die gesellschaftlich wie global zentrale Problematik der Übersetzung des „kulturell Fremden“ zu suchen.
In dem Bestreben alternative „Lesarten“ und Interpretationsrahmen für die bestehenden Sammlungen des Ethnologischen Museums zu entwickeln, konzentriert sich dieses Forschungsprojekt exemplarisch auf die umfangreichen und in vielerlei Hinsicht besonders aufschlussreichen Sammlungen der amerikanischen Nordwestküste. Sie eignen sich nicht nur im besonderen Maße für die angestrebte Erforschung komplexer „Geschichten“ des Zusammenwachsens unserer Welt. Vielmehr bieten sie auch beste Voraussetzungen für die kooperative Entwicklung neuer Übersetzungs- und Präsentationsformen des „kulturell Fremden“ mit Künstlern, Künstlerinitiativen sowie Source Communities der Region, da auf viel versprechende lokale Netzwerke zurückgegriffen werden kann.
Entsprechend dieser Zielsetzung ist die erste Phase des Projekts der Untersuchung des Wandels der ökonomischen, soziokulturellen und künstlerischen Zusammenhänge an der Nordwestküste gewidmet. Der Fokus liegt dabei auf dem Aspekt der Übersetzung des „kulturell Fremden“ sowie auf dem des Handels mit solchen materiellen Gütern, die in diesem Zusammenhang Verwendung fanden und finden. In diesem Sinn zielt unsere Forschung auf die nähere Analyse unterschiedlicher „Kontaktkulturen“ ab - ein Forschungsgegenstand, den wir keineswegs ausschließlich auf „indigene Kulturen“ reduziert verstanden wissen wollen. Vielmehr sollen auch unterschiedliche auf die Region Einfuß nehmende Handelskulturen hinsichtlich ihrer „Terms of Trade“ untersuchen werden.
Projektphasen
Die Arbeitsteilung im Team wird von drei Schwerpunkten bestimmt. Diese spiegeln nicht nur unterschiedliche sozioökonomische Zusammenhänge wider, sondern konzentrieren sich jeweils auch auf spezifische Strategien der Übersetzung der „kulturellen Fremde“:
„Verdinglichte“ Fremde (Brüderlin, Etges, König): Beim ersten Schwerpunkt bildet die Einbindung der Nordwestküste in den trans-pazifischen und globalen Warenhandel seit der frühen Entdeckungs- und Kolonialperiode das zentrale Thema. Besonderes Augenmerk gilt hier der Rolle von Kuriositäten und der Souvenirkultur in der Kommunikation des „exotisch Fremden“.
„Verwissenschaftlichte“ Fremde (Hatoum): Der zweite Schwerpunkt nimmt sich des Phänomens des „ethnographischen Artefakts“ und des Handels mit ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung der musealen Ethnologie Ende des 19. Jahrhunderts an. Hier steht die Herausbildung „wissenschaftlicher“ Übersetzungsformen des „Anderen“ im Mittelpunkt.
„Verkunstete“ Fremde (Bolz und König): Innerhalb des dritten Schwerpunkts steht die Entwicklung moderner ethnischer Kunstmärkte (Handel mit Original Kunstwerken, Reproduktionen und moderner Kunst) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Auch ein Ausdruck kultureller Gleichberechtigung, Vitalität und Selbstbestimmung, kommt hier der politischen Dimension kultureller Übersetzungsfunktionen eine besondere Rolle zu.
Perspektiven
Auch wenn alle drei Schwerpunkte in den Sammlungen des Ethnologischen Museums vertreten sind, kann es nicht verwundern, dass solche dominieren, die mit dem Ziel einer „wissenschaftlichen“ Übersetzungsarbeit zusammengetragen wurden (Jacobsen 1881-83, Schulze 1882, Krause 1881, Boas 1887). Wir hingegen sehen die Notwendigkeit, unterschiedliche Übersetzungsansätze gleichzeitig zu verwenden. Hierfür ist die Weiterentwicklung des Bereichs der nicht-objektbasierten musealen Sprach- und Vermittlungsformen unabdingbar.
Letzteren Zielen ist vor allem die zweite Phase des Projekts gewidmet. In ihr steht die Zusammenarbeit mit Vertretern der Source Communities der Nordwestküste im Rahmen eines Pilot-Projekts im Mittelpunkt. Mit Blick auf die Konzeption eines Drehbuchs für ein Ausstellungsmodul im Humboldt-Forum, gilt in dieser Projektphase der gemeinschaftlichen Suche nach Wegen des Überschreitens der Ausdrucksgrenzen der vorhandenen Sammlungen das Hauptaugenmerk. Unser Forschungsprojekt „Eine Geschichte – Zwei Perspektiven“ zielt auf eine zeitgemäße Perspektiverweiterung ab. Dabei ist es uns ein zentrales Anliegen, die Vielfalt der Perspektiven und sich abzeichnende Entwicklungen herauszuarbeiten. Schließlich wurzelt unser Anliegen in der Überzeugung, dass die heutigen globalen Zusammenhänge eine Suche nach neuen Ansätzen für die Präsentation der Sammlungen in den Museen unumgänglich machen und dass hierbei langfristig angelegten Kooperationen mit Source Communities, Künstlern und Museen sowie dem Wechsel der Erzählperspektiven ein zentraler Stellenwert zugebilligt werden muss.